[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 26.01.1989

Die Weimarer Zeit auf dem Fehn
Wirtin rettete den Plakatkleber

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Die Weimarer Zeit auf dem Fehn
Wirtin rettete den Plakatkleber

Am 30. Januar jährt sich ein unheilvolles Datum. Ein Mann namens Adolf Hitler begann seine Regierungslaufbahn, die am 24. März 1933 mit dem Ermächtigungsgesetz "gekrönt" wurde. Viele Menschen fragen sich heute: Wie konnte das geschehen? Hat dem niemand Einhalt gebieten können? Wie waren damals die politischen Verhältnisse? Hatten wir im Overledingerland niemanden, der diese Katastrophe für das deutsche Volk vorhergesehen hat?

Anton Lücht wurde 1899 in Warsingsfehn geboren. Seine Frau Berta stammte aus Veenhusen. 1922 kauften sie sich ein Haus auf dem Rhauderfehn. So könnte eine ganz normale Geschichte beginnen. Wenn da nicht der erste Weltkrieg gewesen wäre. Anton hatte das Pech, im Herbst 1916 eine Notprüfung als Schmiede- und Schlossergeselle in Holtland absolvieren zu müssen, damit er noch schnell zu den Soldaten konnte.


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Anton Lücht, ein Foto auf seinem Ausmusterungsschein des Wehrmeldeamts Brake vom 12.4.1943.

Als Heizer auf einem Torpedoboot - die waren im ersten Weltkrieg so eine Art Geheimwaffe wie später die V 2 - erlebte er das Kriegsende in Bremerhaven mit. Die damalige Admiralität wollte sich aber nicht kampflos ergeben und plante einen ehrenvollen Abgang. Da "spielten" die Matrosen nicht mit. Es kam zu der bekannten Befehlsverweigerung und der anschließenden kurzzeitigen Gründung von Soldaten- und Arbeiterräten.

Mittendrin der junge Anton Lücht, gerade 19 Jahre jung. Am 3. August 1918 wurde er von der Kaiserlichen Marinewerft Wilhelmshaven aus dem Torpedoressort entlassen. Er kam nach Hause, träumt von der Liebe, heiratete die Haustochter Lamberta - und ging in die Fremde, wo es Arbeit gab. Die schwedische Baggerfirma Kalis & Co. in Malmö bescheinigt ihm gute Arbeit und daß er im März 1923 "wegen Arbeitsmangel" entlassen wurde.

Das macht ihm nicht viel aus, denn mit der harten schwedischen Kronenwährung konnte er sich trotz der lnflationszeit in Deutschland endlich ein Haus kaufen. Es war das ehemalige Mühringsche Haus östlich der Dosewieke, das gerade zur Auktion ausgerufen wurde. Die linke Seite bekam der Zahnarzt Kauffeld und die rechte Seite Anton Lücht mit seiner Familie. Im Herbst 1924 fand er Anstellung im Wasserstraßenamt Bremerhaven, wo er einen Stundenlohn von 84 Pfennig erhielt. So um 1930 wurde er in den Betriebsrat gewählt.

Vom Reichsbanner West- und Ostrhauderfehn sind bislang keine Fotos bekannt geworden. Unsere Aufnahme zeigt das Reichsbanner Rhaudermoor. Das Bild von Johannes Lücht hat einen Knick, deshalb haben wir die Aufnahme von Hanne Krawinkel abgedruckt. Der dritte Mann von rechts ist nämlich ihr Onkel, der schon 1928 verstorbene Johann de Haan. Links neben ihm mit der Fahne steht Hans Wilts und links dahinter Tönjes Heyen. Rechts neben der Pauke ist Engelke Hahn zu sehen, der heute noch in der Vereinswieke lebt. Der Mann mit dem Vollbart könnte ein Grüter sein. Zwischen der Pauke und der Trompete steht Edzard Hündling, anscheinend in einer zivilen Jacke. Auffallend die vielen „Hochwasser“-Hosen! Die Reichsbannerjacken waren von guter Qualität. Anton Hensmanns erinnert sich, daß er solch eine Jacke von dem Ostrhauderfehner Jürn Duis gekauft hat, weil er aus dem Reichsbanner ausgetreten war. J. Duis starb später in dem KZ Bergen-Belsen.
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Vom Reichsbanner West- und Ostrhauderfehn sind bislang keine Fotos bekannt geworden. Unsere Aufnahme zeigt das Reichsbanner Rhaudermoor. Das Bild von Johannes Lücht hat einen Knick, deshalb haben wir die Aufnahme von Hanne Krawinkel abgedruckt. Der dritte Mann von rechts ist nämlich ihr Onkel, der schon 1928 verstorbene Johann de Haan. Links neben ihm mit der Fahne steht Hans Wilts und links dahinter Tönjes Heyen. Rechts neben der Pauke ist Engelke Hahn zu sehen, der heute noch in der Vereinswieke lebt. Der Mann mit dem Vollbart könnte ein Grüter sein. Zwischen der Pauke und der Trompete steht Edzard Hündling, anscheinend in einer zivilen Jacke. Auffallend die vielen „Hochwasser“-Hosen! Die Reichsbannerjacken waren von guter Qualität. Anton Hensmanns erinnert sich, daß er solch eine Jacke von dem Ostrhauderfehner Jürn Duis gekauft hat, weil er aus dem Reichsbanner ausgetreten war. J. Duis starb später in dem KZ Bergen-Belsen.

Es war die Zeit der großen Arbeitslosigkeit in Deutschland. 1932 waren 6,2 Millionen Menschen ohne Arbeit. Reichskanzler Heinrich Brüning "erfand" das Vierpfennigstück und wollte sogar ein Achtzigpfennigstück einführen, um die Bevölkerung zur Sparsamkeit anzuregen. Der "Pleitegroschen, Brüningtaler oder Tributgroschen, die Nottablette oder Rettungsmedaille" ist ein Unikum in der deutschen Münzgeschichte. Die Wirtschaftskrise in Deutschland konnte sie nicht verändern.

Die langen Schlangen vor der Arbeitsamtsaußenstelle in Plümers Ecke empfand Anton als ungerecht. Dagegen wollte er etwas unternehmen. Als Betriebsratsmitglied kannte er sich in politischen Wirtschaftsfragen ziemlich gut aus. Kam er am Freitag von der Arbeit, so wurde wenig später die Jacke angezogen und das Koppel umgeschnallt. Drei Pfeile verstärkten die Ecken seines Hemdes. Dann ging es auf die Dörfer, um den Gleichgesinnten von der letzten Rede Hermann Tempels zu erzählen. Dieser Reichstagsabgeordnete bemühte sich sehr um seinen Wahlkreis. Und damals, als es noch kein Fernsehen gab, der Rundfunk noch in den Kinderschuhen steckte und die Wege oft aus Matsch und Pfützen bestanden, waren Leute wie Anton Lücht sehr gefragt. Er konnte die Reden Tempels fast wörtlich wiedergeben, so gut war sein Gedächtnis. Die beiden hatten ein freundschaftliches Verhältnis zueinander, und Hermann Tempel besuchte die Lüchts sooft er konnte auf dem Fehn.

Damals war sonntags mehr los auf dem Untenende als heute! Jedes Wochenende fand irgendwo eine Veranstaltung statt. Da marschierten die ersten Kampfgruppen über das Fehn. Und im Sommer dann die Umzüge. Vorneweg eine Kapelle, dahinter die Männer und Frauen, „er" halbmilitärisch, „sie" mit Schärpe in den jeweiligen Fahnenfarben.

Die schönste Musik hatten die Kommunisten, so mit Schalmeien und Querflöten. Die hatten damals schon Transparente, auf denen gegen den Paragraphen 218 (Schwangerschaftsabbruch) demonstriert wurde. Wesentlich zackiger ging es bei der SA mit Brinkmanns Kapelle zu. Aber auch der Seldtke-Stahlhelm mit seiner Kyffhäuser-Jugend konnte sich sehen lassen. Sie begannen ihre Umzüge von Bahns aus, wo die Deutsch-Nationalen ihr Stammlokal hatten. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold hatte eine eigene kleine Kapelle, die weder schön noch laut spielte. Dafür marschierten sie dann aber durch viele kleine Sandnebenwege, so daß auch der kleine Mann etwas davon hatte.

Natürlich war Anton Lücht dabei. Aber in der Zeitung erschien er nur indirekt, denn die war schon gleichgeschaltet. So heißt es in einer Meldung vom 12. März 1932 über einen NSDAP-Aufmarsch: "Bei der Kirche hatte sich eine Menge Andersdenkender versammelt, die dem Marschzug abfällige Bemerkungen nachsandten. Hierbei kam es zu einer Schlägerei, die aber kein ernsteres Ausmaß annahm."

Einmal, als Anton ein Plakat an das Fenster der Gaststätte Krämer in Collinghorst klebte, wäre er fast geschnappt worden. Aber die Wirtin hat ihn dann gerettet, als sie zwei betrunkene Fischdampfermatrosen als Überbringer der Plakate benannte. Das war zu der Zeit, als es schon gefährlich wurde, zu einer "falschen" Partei zu gehören. Dabei war das Demokratieverständnis der Fehnbevölkerung hellwach. Damals war wirklich etwas los auf dem Fehn! Die enormen Aktivitäten der Hugenberg-Gefolgsleute und des Reichsbanners sowie der Kommunisten vermochten aber nicht, die Anhänger der NSDAP aufzuhalten. Die verhängnisvolle Fehlentwicklung nahm ihren Lauf. Wir brauchen nur die Wahlergebnisse in den Zeitungen nachzulesen.

In der Silvesternacht wird tüchtig geknallt. Anton Lücht hatte noch eine alte Armeepistole aus dem ersten Weltkrieg. Die knallte natürlich besonders laut. Jeder wußte das. Und eines Tages war es dann soweit. Anton war zur Arbeit nach Bremerhaven. Seine Frau schlief mit den beiden Kindern ruhig in ihrer Kammer. Plötzlich ein großes Geschrei vor der Tür. "Hier ist die Landgendarmerie! Sofort aufmachen!" Das stimmte aber nur halb. Die Gendarmen Schwenk und Christophers hatten sich geweigert, dem SA-Trupp Hilfestellung zu geben. So mußte der Kollege Tielker aus Collinghorst aushelfen. Ihm wurde auch aufgemacht, und schon stürmten die Braunhemden herein, um alles zu durchsuchen. Der kleinen Berta gelang es, die Absperrung zu durchdringen und bei Dr. Visher um Hilfe zu bitten. Der Standartenarzt kam und blies den Überfall augenblicklich ab.

Das Kabarett "Hoffmanns rote Sänger", die Reden des Reichstagsabgeordneten Hermann Tempel, die Umzüge mit Musik - all diese Aktivitäten des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold konnten Hitler nicht schrecken. Auch auf dem Fehn ließen etliche Bürger ihr Fähnlein in die "richtige" Windrichtung flattern. Wer schreibt die Geschichte vom Lehrer Mohrmann aus Rajen, der aus politischen Gründen strafversetzt wurde? "Nie wieder Krieg!", so grüßten sich die Reichsbannerleute. Wer kennt noch Emil Pinkau, Jaje Leemhuis und Tatje Prahm, die wegen Hoch- und Landesverrats eingesperrt wurden? "Nie wieder Krieg!" war eine gängige Begrüßungsformel, und dann folgte erst: "Moin. Wo geiht?"

Die Theatergruppe des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold von Westrhauderfehn und Umgebung, so lautet der Text unter diesem Foto. Wann diese Laienschauspieler das Stück „Wenn du noch eine Mutter hast ... „ aufgeführt haben, konnte nicht mehr festgestellt werden. Links steht Sophie Maecker. Die sieben Maecker-Kinder hatten bekanntlich alle verschiedene politische Ansichten, wobei Bruno auch die Nachteile des neuen Regimes kennenlernen mußte. Ganz rechts könnte Peter Hanken sitzen. Neben ihm ist Berta Lücht zu sehen, Antons Ehefrau. Dann kommt Hans Wilts und sitzend Oma Bergenthal. Neben ihr steht Lini, Jan Garrel Roskamps Tochter. Die anderen Personen sind bislang unbekannt geblieben.
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Die Theatergruppe des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold von Westrhauderfehn und Umgebung, so lautet der Text unter diesem Foto. Wann diese Laienschauspieler das Stück „Wenn du noch eine Mutter hast ... „ aufgeführt haben, konnte nicht mehr festgestellt werden. Links steht Sophie Maecker. Die sieben Maecker-Kinder hatten bekanntlich alle verschiedene politische Ansichten, wobei Bruno auch die Nachteile des neuen Regimes kennenlernen mußte. Ganz rechts könnte Peter Hanken sitzen. Neben ihm ist Berta Lücht zu sehen, Antons Ehefrau. Dann kommt Hans Wilts und sitzend Oma Bergenthal. Neben ihr steht Lini, Jan Garrel Roskamps Tochter. Die anderen Personen sind bislang unbekannt geblieben.

Am 13. März 1933 berichteten die Zeitungen, daß das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, die Eiserne Front, die Schufo und alle ähnlichen Organisationen im Deutschen Reich verboten worden seien. Und am 20. März hieß es von der "Siegesfeier der NSDAP": "Der Ortsgruppenführer Müller entzündete ein großes Freudenfeuer auf dem Gelände des Gastwirts W.F. Plümer an der Ecke der 2. Südwieke. Und dann kam der Augenblick, in dem die Fahne der Novemberrevolution die schwarzrotgoldene Flagge in die Flammen geworfen und verbrannt wurde. HaIlender Beifall stieg auf, und gemeinsam sang die Menge das Deutschlandlied." Vom 21. März gibt es letztendlich das Foto: "lllumination der Wieken mit brennenden Torfsoden am Tage der Reichstagseröffnung". Es war der Tag von Potsdam, denn der Reichstag war am 27. Februar schon aufgebrannt.

Vom Kirchturm aus wurde dieses Foto gemacht: das hellerleuchtete Untenende von Rhauderfehn: Torfbülten und Torffackeln brannten entlang des Kanals. Es war der 21.März 1933, an dem der Reichstag eröffnet wurde. Dieses Datum wird auch „Tag von Potsdam“ genannt, denn das Reichstagsgebäude in Berlin existierte nur noch als Ruine. Waren die lodernden Fackeln schon ein erster Hinweis auf die infernalischen Feuersbrünste des 2. Weltkrieges?
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Vom Kirchturm aus wurde dieses Foto gemacht: das hellerleuchtete Untenende von Rhauderfehn: Torfbülten und Torffackeln brannten entlang des Kanals. Es war der 21.März 1933, an dem der Reichstag eröffnet wurde. Dieses Datum wird auch „Tag von Potsdam“ genannt, denn das Reichstagsgebäude in Berlin existierte nur noch als Ruine. Waren die lodernden Fackeln schon ein erster Hinweis auf die infernalischen Feuersbrünste des 2. Weltkrieges?

"Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Katholiken holten, habe ich nicht protestiert, ich war ja kein Katholik", schrieb Martin Niemöller, der ehemalige Kirchenpräsident, und fährt fort: "Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte."

Wer von der jüngeren Generation, und sei er fünfzig, vierzig, dreißig oder sogar nur erst zwanzig Jahre alt, mit einem weißen, unschuldigen Finger auf die Vorväter zeigt und strafend fragt: "Wie konntet ihr nur zulassen, daß Hitler an die Macht kam?", der weiß nicht, wie sehr sich viele Menschen angestrengt haben, dies zu verhindern. Einer von ihnen war Anton Lücht. Er wohnte bis 1935 auf dem Untenende in Rhauderfehn.

 

Gründung des Reichsbanners am 22.2.1924 in Magdeburg
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Gründung des Reichsbanners am 22.2.1924 in Magdeburg

 

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