[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 18.01.1990

Ein Fehntjer an Bord der "SMS Iltis" in China

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Ein Fehntjer an Bord der "SMS Iltis" in China
Wilke Tinnemeyer als Matrose in Tsingtau

Zur Verfügung gestellt von Netti de Freese

Dieser Ausschnitt zeigt den Matrosen Wilke Tinnemeyer aus Ostrhauderfehn.
Dieser Ausschnitt zeigt den Matrosen Wilke Tinnemeyer aus Ostrhauderfehn.

Draußen ist es neblig, diesig und trübe. Der Tag erscheint wieder einmal unendlich lang. Wie können die Stunden verkürzt werden, mag mancher unserer Leser denken. Ach ja, da sind ja noch die verstaubten Briefe und Karten vom Vater. Sie werden hervorgeholt. Die erste Karte wird gelesen. Und plötzlich ist man in einer anderen Welt.

Karten aus China und Japan, Karten aus Borneo und Indien, Briefe mit Stempeln aus fremden Ländern, Briefmarken mit Schriftzeichen, die niemand lesen kann. Erinnerungen an den Vater, der einstmals als junger Bursche zum Militär mußte wie die jungen Männer auch heute noch. Was weiß ich von ihm, was weiß ich von den Jahren, wo er mit der Mutter noch nicht verlobt war?

Es ist wenig. Damals, als die Oma noch lebte, hatte man keine Zeit, sich die alten Geschichten anzuhören. Und in den Jahren, als die Geschwister vom Vater, die Onkel und Tanten, noch lebten, war man vollauf mit der Erziehung der eigenen Kinder beschäftigt. Was blieb, sind die Briefe und Karten aus dem Elternhaus, die "Erinnerungen an meine Reisen", das Mützenband von der "SMS Iltis", das Bild von der "Reserve von dem Chinastrand".

"Zur Erinnerung an meine Reisen in China und Japan 1905 bis 1907", so heißt es auf diesem sehr schönen gestickten Seidentableau des Matrosen Wilke Tinnemeyer.
"Zur Erinnerung an meine Reisen in China und Japan 1905 bis 1907", so heißt es auf diesem sehr schönen gestickten Seidentableau des Matrosen Wilke Tinnemeyer.

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Damals, im Jahr 1904, entschied sich Wilke Tinnemeyer aus Ostrhauderfehn, seinen Militärdienst bei der Marine abzuleisten. Schließlich waren alle Fehntjer im Herzen mit der Schiffahrt verbunden, auch wenn sie manchmal andere Berufe ergreifen mußten. Das "wie" und "wo" der Marineausbildung des Wilke Tinnemeyer liegt im verborgenen, aber wir wissen aus den Bildern, daß er als Matrose auf der "SMS Iltis" fuhr.

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Mannschaftsbild der "SMS Iltis". Die "Reserve von dem Chinastrand hat treu gedient dem Vaterland".

Die "SMS Iltis" war ein Kanonenboot der Kaiserlichen Marine. Es gab mehrere Schiffe mit dem Namen "Iltis". Von den frühen Schiffen der Marine waren die im Ausland eingesetzten Kanonenboote "Eber, Adler und Itis" verlorengegangen. Die "SMS Iltis" strandete beim Promontory Leuchtturm nahe Tsingtau im fernen China. Am 27. November des Jahres 1897 wurde auf der Danziger Schichau-Werft der Kiel für das neue Kanonenboot gelegt. Schon am 4. August des nächsten Jahres fand der Stapellauf statt, wobei der Oberwerftdirektor Kapitän zur See von Wietersheim die Taufrede hielt. In Kiel erhielt die "SMS Iltis II" auf der Kaiserlichen Werft ihre Bewaffnung mit vier 8,8-cm- und sechs 3,7-cm-Geschützen. Am 1. Dezember 1898 übernahm Kapitänleutnant Wilhelm Lans das Kommando auf der fertiggestellten "SMS Iltis II", und schon am 6. Februar des nächsten Jahres begab sich das Kriegsschiff auf Ostasienreise.

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Die "SMS Iltis" beim Auslaufen zu einer Übung.

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Was wollte ein deutsches Kriegsschiff in China, werden jetzt die jüngeren Leser fragen. Vor vielen, vielen Jahren, als Deutschland noch einen Kaiser hatte, kam dieser auf die Idee, sich ebenfalls Kolonien anzuschaffen wie England, Spanien, Frankreich und Portugal. Wer auf dem Fehn aufgewachsen ist, dessen Eltern hatten wahrscheinlich ein "Colonat", der Vater war ein "Colonist". Der römische "colonus" war ein Feldbauer, der sich um die Kultivierung öder und wüster Ländereien bemühte. Der ostfriesische Fehncolonist sollte ein Stück der riesigen Moorflächen urbar machen.

Wir unterscheiden Ackerbau- und Plantagenkolonien sowie Handels- und Strafkolonien. Südamerika, Australien, ja, auch die USA, all diese Erdteile und Staaten könnte man als "Kolonien" ansprechen. Der Große Kurfürst von Brandenburg, dessen Denkmal nach dem 2. Weltkrieg von Emden an die Knock versetzt wurde, hatte vor 300 Jahren zum ersten Mal versucht, an der Goldküste in Afrika eine Kolonie zu gründen. Dieser Plan wurde aber schnell wieder aufgegeben. So mußten die Deutschen bis zum Jahr 1884 warten. Am 5. Juli schloß der Generalkonsul Dr. Nachtigal mit dem König von Togo einen "Protektionsvertrag". Es wurde in der Hafenstadt Bagida nahe Lome die deutsche Flagge gehißt. Das Deutsche Reich war in die Reihe der Kolonialmächte eingetreten.

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Aus dem China-Album des Matrosen Wilke Tinnemeyer: Vornehme Opiumraucher in Shanghai.

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Die chinesische Bucht von Kiatuschou mit der Halbinsel Tsingtau wurde am 14. November 1897 von Admiral von Diederichs besetzt und durch Vertrag mit dem Kaiser von China am 6. März 1898 auf 99 Jahre "gepachtet". Dorthin ging die erste Reise der "SMS Iltis II". Dieses Kanonenboot war mit seinen Schwesterschiffen "Jaguar, Tiger, Luchs, Panther und Eber" so konstruiert, daß es sowohl hochseetüchtig als auch in der Lage sein sollte, die Flüsse in China zu befahren.

Um 1900 war die "SMS Iltis" an den Kampfhandlungen bei den Boxeraufständen beteiligt. Danach tat sie ihren Dienst als "Stationär" in den chinesischen Küstengewässern und Flüssen, unterbrochen von Reparaturen, Aufenthalten in Tsingtau, Schießübungen und Besuchen von japanischen Häfen.

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Das Denkmal der 1878 gebauten "SMS Iltis I". Dieses Denkmal erinnert an die schweren Kämpfe um das Fort Taku während der Boxeraufstände am 17. Juni 1900.

Ob Matrose Wilke Tinnemeyer schon am 6. März 1904 auf der "SMS Iltis" war, wissen wir nicht genau. Damals wurde der "neue Hafen" in Tsingtau eröffnet. Der Gouverneur des Schutzgebietes, Kapitän zur See Truppel, und der 2. Admiral des Kreuzergeschwaders, Konteradmiral von Holtzendorff, fuhren mit der "SMS Iltis" bis zum Kopf der äußersten Mole des neuen Hafens, wo sie von den Erbauern, dem Marinehafenbaudirektor Rollmann und dem Marinehafenbaumeister Troschel empfangen wurden. Nach dem offiziellen Empfang dampfte von der Mole erstmals ein Zug der Schantungbahn in das Landesinnere.

Das hiesige Fehn- und Schifffahrtsmuseum wird die neue Saison ab März mit einer Ausstellung über die Fehntjer Ostasienfahrer beginnen. Der Schreiber dieser Zeilen wäre dankbar für Hinweise über weitere Matrosen und Kapitäne aus dem Overledingerland, die sich im Fernen Osten aufgehalten haben.

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