[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 25.01.1990

"Mit sein Packje na de Kark un na`t Markt"
Der Schneider näht mit flinken Fingern

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"Mit sein Packje na de Kark un na`t Markt"
Der Schneider näht mit flinken Fingern

Kleider machen Leute, so heißt eine bekannte Novelle von Gottfried Keller. Ein Schneider wird wegen seiner guten Kleidung für einen Grafen gehalten. Ein moderner "Hauptmann von Köpenick", denn auch hier sind es die Kleider beziehungsweise die Uniform, die aus einem einfachen Menschen eine höhergestellte Person macht.

Die Illusion, die solch ein "Habit" auf andere Menschen ausübt, ist bis heute geblieben. Zu allen Zeiten bewunderten die Menschen des "Kaisers neue Kleider", auch wenn sie gar nicht zu sehen waren. In diesem Kunstmärchen von Hans Christian Andersen wird deutlich, wie sehr die Imagination, das Image, wie die Jugend heute sagt, eine wichtige Rolle in unserer Gesellschaft spielt.

Der Ostfriese ist nüchterner. Er weiß, daß er es ist, der des Kaisers neue Kleider bezahlen muß. Er ist zufrieden mit seinem "Packje"' das er täglich trägt. Sonntags ist es ein Anzug, der möglichst auch als "Dodenrock" dienen sollte. Am liebsten aber würde er "mit sien Packje na de Kark un na't Markt" hinlaufen. Für einen Mann, der mehr als einen Anzug im Kleiderschrank hatte, gibt es nur die Bemerkung: "He is dat reinste tweebenige Kleerschapp."

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Im Jahre 1929 feierte der Schiffer Heinrich de Haan aus Rhaudermoor Hochzeit mit seiner Braut Hedwig Hübner aus Danzig. Die Feier fand im "Deutschen Haus" von Joke Plümer statt. Obere Reihe von links: Gretchen, Lidi und Johann Plümer, Sini Plümer und Theodor de Haan, Wilma Plümer und Karl de Haan sowie ganz rechts Käthe BIey. In der zweiten Reihe steht das Ehepaar Pieper sowie das Hochzeitspaar, dann folgen: Heiberdine Krawinkel, geb. de Haan, Margarete de Haan und Schneider Karl Bley sowie Lini Poelmann und Karl de Haan. Von links sitzt Schneidermeister Claas Bley in seinem eleganten Anzug und neben ihm seine Frau Catharina, geb. Rosenboom. Der Junge mit dem Papierfähnchen ist Karl Krawinkel. Rechts neben dem Brautpaar sitzen Talea, geb. Rosenboom, und Claas de Haan sowie im modischen Kleid der zwanziger Jahre Tini Bley. Der Junge vor dem Bräutigam ist Karl Krawinkel und das Mädchen rechts beim Opa ist Hanne de Haan. Vorn auf der Matte sitzen Mimi Krawinkel und Heinrich Pieper


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Der Schneider ist ein Zauberer. Durch seine flinken Finger entsteht aus einem unscheinbaren Stück Stoff ein Rock mit modischen Beinkleidern. Diese Möglichkeiten hat der Beruf erst spät mit sich gebracht. Früher war das Nähen von Kleidung eine simple Notwendigkeit, um sich vor Kälte und Wetterunbilden zu schützen. Erst als die verschiedenen Uniformen der morgenländischen Soldaten nach Europa kamen, entwickelte sich auch bei uns so etwas wie eine Kleidungskultur.

Die Volkskunde versucht immer wieder, die Ursprünge von Volkstrachten zu erforschen. Das ist gar nicht so leicht, da früher kaum Zeichnungen vom "einfachen Mann" angefertigt wurden. Die Kleidung der Minnesänger bei Hofe sagt wenig aus über den Landmann und Bauern. Über die Gotik und die Barockzeit ließen sich verschiedene höfische Stilformen der männlichen Bekleidung von Adelspersonen verfolgen und erklären. Noch interessanter ist die Geschichte der "Hose".

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Als Onkel Hans und "Tanti" aus Ihrhove zu Besuch nach Westrhauderfehn kamen, mußten sie sich nach dem Teetrinken draußen im Garten aufstellen, damit Bernhard sie fotografieren konnte. Johannes Müller hat noch die bequemen Hausschuhe seiner Gastgeber an, da die Sonntagsschuhe doch arg drückten. Zur Anzugsjacke trug Onkel Hans ein "Insett" oder "Bäffchen", das man auch gekräuselt oder plissiert kaufen konnte. Die Beinkleider aus weichem Tuch wurden nicht gebügelt. Über die Kleidung von seiner Schwester Gretchen ein andermal mehr.

Dieser Ausschnitt zeigt den Matrosen Wilke Tinnemeyer aus Ostrhauderfehn.
Fehntjer Ehepaar in "Dagwarkstüch": Geeskeanna, geb. Heyen, und ihr Mann Rösken Börg aus Ostrhauderfehn, etwa um 1927. Er trägt Manchesterhosen, Busuruntje und einen langen Rock. Als Fischdampfermatrose gehört die Schiffermütze zum "Outfit".


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In seinem Buch "Vom Lendenschurz zur Modetracht" beschreibt Heinrich Mützel die alten Germanen, wie wir sie aus vielen Museen kennen: Die s Männer trugen togaähnliche Kleider wie die Römer. Erst durch die Türken kamen die Europäer zu ihren Pluderhosen. In Spanien entwickelten sich daraus die "Rollhosen" (rundwulstige Oberschenkelhosen) und in Frankreich die mit Schleifen verzierten "Kniehosen". Erst die Revolution kam zurück auf das lange Beinkleid. Daraus wurde die "Röhrenhose" mit Bügelfalte, die Rundbund- und die Spitzbundhose sowie die Sporthosen "Breeches", die "Knickerbockers", Shorts und Skihosen.

Hergestellt wurden all diese Hosen, Westen und Jacken, Überröcke und Mäntel vom Schneider. Im alten Volksmärchen, das die Brüder Grimm aufgeschrieben haben, ist es "das tapfere Schneiderlein", welches sich mühsam mit Nadel und Faden durch die oft schweren Stoffe quälte. Das tapfere Schneiderlein war ein kleines Persönchen, dem der liebe Gott nicht viel Muskeln und keine stattliche Figur verliehen hatte. Und so sitzt es denn mit gebeugtem Rücken auf einem Tisch und läßt die zu bearbeitenden Stoffe durch seine schmächtigen Hände gleiten.

Peter Rosegger beschreibt seinen "Eintritt ins Handwerk" wie folgt: "Für einen Bauer ist er zu schwächlich, wird halt ein Pfarrer oder Schneider werden müssen, so war das Ergebnis einer Beratung, die eines Abends über mich in der Waldbauemstube abgehalten wurde. Meine Mutter ging zum Geistlichen. Der Herr Dechant sagte ihr aber: ,Laß sie das bleiben! Wenn der Bub sonst keine Anzeichen für den Priester hat, als daß er schwach ist, so soll er etwas anderes werden.

In einer Bremer Schneiderei erlernte Diedrich Seemann aus Idafehn (zweiter von rechts) das Schneiderhandwerk.
In einer Bremer Schneiderei erlernte Diedrich Seemann aus Idafehn (zweiter von rechts) das Schneiderhandwerk.

Nun, so ging meine Mutter vom Herrn Dechanten zum Schneidermeister. Sie hätte einen Buben, der möcht Schneider werden. Er fragte, was sie denn auf diesen Gedanken gebracht hätte? Sie antwortete, weil er halt so schwächlich sei. Da stand der Meister auf und sprach:

"Ich will der Waldbäuerin nur sagen, daß der richtige Schneider ein kerngesunder Mensch sein muß. Einmal das viele Sitzen, nachher zur Feierabendzeit das weite Gehen über Berg und Tal und das ganze Zeug mitschleppen wie der Soldat seine Rüstung. Hernach die unterschiedliche Kost: Bei einem Bauer mager, beim andern fest, in einem Hause lauter Mehlspeisen, im andern wieder alles von Fleisch; heut nichts als Erdäpfel und Grünzeug, morgen wieder alles Suppen und Brei.

Und red ich erst von den unterschiedlichen Leuten, mit denen man sich abgeben muß! Da eine brummige Bäuerin, der kein ordentlicher Zwirn feil ist, dort ein Bauer, der mit seinen närrischen Späßen den Handwerker erheitern und sattmachen will. All die Leut soll der Schneider mit einem Maß messen. Und was die Hauptsach ist: Kopf muß er haben! Was an einem krummen, buckligen, einseitigen Menschenkinde verdorben ist, das soll der Schneider wieder gut machen.

Der Schneider muß aber nicht allein den Körper seines Kunden, er muß auch sozusagen sein ganzes Wesen erfassen, um ihm ein Kleid zu geben, das paßt. Und ebenso muß er den Stoff kennen, von dem er den Anzug zu verfertigen hat. Manches Tuch dehnt sich, manches kriecht zusammen. Dieses hält die Farbe, das andere schießt ab. Wer das vorher nicht weiß, der macht ein Unding zusammen. Kurz, der Kleidermacher muß Menschen- und Weltkenner sein. - Na, ich werd mir den Bub mal anschaun."

Schiffer Karl (links) und Claas de Haan aus Rhaudermoor
Jeder, der sich mit Familiengeschichte beschäftigt, hat von seinen Vorfahren solche oder ähnliche Bilder. Ein stattlicher Mann in den "besten" Jahren mit dem nötigen Kleingeld geht zum Fotografen, um sich im Sonntagsanzug ablichten zu lassen. Der elegante Herr befestigte an der Weste eine möglichst kostbare Taschenuhr, die durch eine oder auch zwei Ketten gehalten wurde. Hier sind es die beiden Schiffer Karl (links) und Claas de Haan aus Rhaudermoor, die ein Bild von ihnen anfertigen ließen. Die Stehkragen waren ungewohnt und scheuerten. Solch ein abnehmbarer Stehkragen hatte im Sommer bei einer "heißen" Tanzveranstaltung große Vorteile, weil er schnell ausgewechselt werden konnte. Peinlich aber, wenn dabei der Kragenknopf verloren ging. - Der Zweireiher von Karl hatte "överneiht Tasken". Das Bild dürfte etwa um 1920 gemacht worden sein, denn Karl wurde 1902 geboren.

Peter Rosegger ist ein berühmter Dichter und Erzähler geworden. Er hat die Nähnadel mit der Schreibfeder getauscht. Seine Erzählungen sind zwar nicht so phantastisch wie die von "Des Kaisers neuen Kleidern", aber auch er wußte, daß es stimmt: "Kleider machen Leute." Als "Schneider Wessel" aus Ostrhauderfehn einmal von der 1. Südwieke aus in seinem neuen Anzug bis nach Ubbehausen fuhr, rief er den Männern bei einem Neubau auf hochdeutsch zu: "Können Sie nicht sehen, daß diese Mauer schief ist?" Die Maurer gehorchten dem angeblichen "Oberbaurat" und rissen die mörtelfrische Mauer wieder ein!

Dieser Ausschnitt zeigt den Matrosen Wilke Tinnemeyer aus Ostrhauderfehn.
Georg Plaisier aus Ostrhauderfehn läßt sich in seinem Sonntagsanzug fotografieren, allerdings ohne Stehkragen und Schlips, und auch die Uhrkette liegt noch wohlverwahrt im Haus.

 

Zur Verfügung gestellt von Anni van Dieken (2), Hanne Krawinkel (2), Hanni Poppen und Bernhard Struck.

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