[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 29.03.1990

"Diakonissen auf dem Fehn II
Die Bitte um "kleine Haube" wurde der Schwester abgelehnt

[ Zurück zur Übersicht aller Artikel des Fehntjer Kuriers ]


[ Zum Seitenanfang ]

Diakonissen auf dem Fehn II
Die Bitte um "kleine Haube" wurde der Schwester abgelehnt

Die Geschichte der Krankenpflege ist eng verbunden mit der Kriegskrankenpflege. Je umfangreicher die kriegerischen Auseinandersetzungen waren, desto mehr Verwundete gab es. So entstand eine "zweckmäßige Organisation des Sanitätswesens". Diese "zweckmäßige Organisation" wurde im vorigen Jahrhundert auch auf Zivilbereiche angewendet. Ein "Kreisphysikus" prüfte, und von nun an gab es "geprüfte Krankenwärter(innen)".

Berühmt ist die in Florenz geborene englische Krankenpflegerin Florence Nigthingale, die im Krimkrieg freiwillig aufopfernd half und später exakte Organisations- und Arbeitspläne für die militärische und zivile Krankenpflege entwickelte.

Im Jahre 1836 gründete Theodor Fliedner im Kaiserswerth ein Diakonissenmutterhaus. Die Idee verbreitete sich rasch. Schon 1916 gab es in Deutschland 29000 Diakonissen und 1933 sogar 46000.

In diesen Mutterhäusern der Inneren Mission werden die jungen Frauen für den beruflichen Dienst in allen Zweigen kirchlicher Liebesarbeit ausgebildet. Sie werden als Schwestern mit eigener Tracht zusammengefaßt, in die praktische Arbeit gestellt und bei Krankheit oder im Alter durch eigene Erholungsstätten und Altersheime versorgt. Der Diakonissenberuf soll, so heißt es, Lebensberuf sein, die Arbeit wird aus religiösen Gründen geleistet, es gibt keine tarifliche Entlohnung. Und jetzt kommt der wichtige Satz: "Die Diakonisse erhält alles, was sie braucht, und ein Taschengeld."

Schwester Harmine schreibt:

"Von l930 bis 38 war ich Schwester im Diakonissenmutterhaus Bremen. Nach dem Examen wurde ich als Gemeindeschwester nach Ostrhauderfehn geschickt. Zu meinem Bezirk gehörte auch Holterfehn und ldafehn. Täglich war ich mit dem Fahrrad unterwegs. Außer der Hauptstraße gab es sonst nur die beschwerlichen Sandwege beidseits der Wieken. Das war besonders nachts ein oftmals tollkühnes Unternehmen, mit der Karbidlampe am Rad die Pfützen auf den Matschwegen zu umkurven.

Die Wegeverhältnisse im Overledingerland sahen 1957 fast überall noch so aus wie hier in Ostrhauderfehn. Im Hintergrund links steht das Haus Ortmann. Dahinter führt die Middendorfstraße zum Kindergarten und zur Grundschule. Von links erkennen wir Wilke Junker, dessen Trecker das Auto von Bäcker Eduard Friedrichs herausziehen soll. Mit der Schaufel Karl Böttcher und Ollig Braak. Rechts stehen Hermann Lüken und Hans Abels.

[ Zum Seitenanfang ]

Aber die Kranken warteten auf meine Hilfe. In den Kriegsjahren hatten wir mehrere Fälle von Scharlach und Diphtherie. Zum Glück hatte ich vorher schon auf einer Isolierstation gearbeitet, somit konnte ich ohne den Arzt rufen zu müssen, Serum spritzen und die nötigen Abstriche machen, die ich dann dem "Gesundheitsamt" zuschickte. Bei Scharlach habe ich, so gut es ging, die erkrankten Kinder im Elternhaus isoliert. Im ganzen Umkreis hatten wir nur Dr. Koken als Arzt.

Schwester Harmine in Alltagskleidung.

[ Zum Seitenanfang ]

Bei starkem Sturm oder Graupel- und Schneetreiben mußte ich schon mal absteigen, um Luft zu kriegen. In der zweiten Wieke wohnte Frau Erna Taute, deren Mann als Soldat eingezogen worden war. Dort machte ich Pause, konnte die Füße in warmes Wasser stecken und mich ein bißchen erholen. Nach einer schönen Tasse Tee ging die Fahrt dann weiter.

Die Fehntjer waren immer nett und hilfsbereit. Gern denke ich an die Zeit zurück. Oftmals mußte ich bei den Schwerkranken des Nachts wachen Den Sterbenden konnte ich eine kleine Hilfe sein in ihrer schwersten Stunde, ihnen die Lippen anfeuchten, den Schweiß abwischen, das Kopfkissen zurechtrücken und für frische Luft sorgen. Ich glaube auch, daß meine stillen Gebete erhört wurden.

Zuerst wohnte ich bei Familie Normann an der Hauptstraße gegenüber von Bruno Ewen.

Kürzlich besuchte ich noch seine liebe Mutter. Sie war die erste Frau, die ich kennenlernte, als ich erst eine halbe Stunde in Ostrhauderfehn war. Sie holte gerade die Schafe von der Weide. Dann sagte sie ganz lieb und herzlich zu mir:

"Schwester, wenn sie sich mal einsam fühlen, kommen Sie zu uns." Wir haben uns sehr angefreundet. Viele Abende habe ich bei ihr verlebt.

Auch zu Hochzeiten wurden die Diakonissen eingeladen. Vorn stehen die drei Kinder Heinz Georg Janssen, Erika Dawideit und Ursula Reents. Links der Junge ist Heinz Steenblock, dann folgt mit dem schicken Hut Martha Hartmann, und mit dem Rücken erkennen wir Fokko Helmers. Die Frau zwischen den beiden (am Pfosten) ist Christine Janssen, geb. Helmers. In der Mitte das Brautpaar Janna Kirchhof und Heinrich Helmers. Beide wanderten nach 1950 in die USA aus. Mit dem Rücken zum Fotografen steht der Ostrhauderfehner Pastor Arnold Küttner. Rechts daneben Henni Lüken, und am rechten Pfosten erkennen wir die Diakonisse Hilde Stamm. Daneben stehen Erika Rössing, Martha Dombrowski, die bei Küttners den Haushalt führte, und Erna Taute. Ganz rechts, kaum noch zu erkennen, steht Linchen de Buhr.

Nun muß ich aber noch etwas erwähnen. 1939 sollte ich als Diakonisse eingesegnet werden. Ich sprach mit der Oberin in Bremen und bat um die "kleine Haube". Das bedeutete, daß ich keine Diakonisse sein wollte. Die Bitte wurde aber abgelehnt mit der Begründung, dann würden noch mehrere Schwestern mit der Bitte kommen. Auch wäre es ja eine Geldfrage.

Die Fachfrau könnte uns letzt eine Menge Details zu den vier verschiedenen Hauben auf diesem Foto erzählen. Rechts Schwester Emmchen, dann Erika Olthoft mit der Katze und dahinter eine unbekannte Hilfe aus dem Leinerstift Großefehn. Davor Frau Peters, die erst in der Küche arbeitete und später als Nachtwache im Reilstift tätig war. Im Hintergrund Schwester Stientje, die für den Küchenbetrieb verantwortlich war, und im Vordergrund mit der Katze die damalige Leiterin, Oberschwester Emma, die 17 Jahre lang das Reilstift leitete. Im Hintergrund eine unbekannte Hilfe, daneben Krankenschwester Rita sowie Frau Tinnemeyer und eine weitere unbekannte Hilfe aus Quakenbrück.

[ Zum Seitenanfang ]

Nun sprach ich mit dem Bürgermeister Diederich Schoon. Wie er mir sagte, wäre er sehr froh, wenn ich bliebe. Ich würde dann von der Gemeinde bezahlt. Eine Wohnung bekamen ich sowie Frau Kapfermann im neuen Gemeindehaus.

Da ich nun kein Mutterhaus mehr hinter mir hatte, wurde ich NS-Schwester. Wir wurden aus Leer betreut. Ich machte meine Arbeit wie gewohnt weiter. Wohl wurde uns gesagt: Wenn wir öfter zur Kirche gehen würden, sollten wir nicht in der NS-Schwesterntracht gehen.

image221.jpg (4413 Byte) image220.jpg (4030 Byte)

Schwester Harmine mit kleiner Haube.

Schwester Harmine mit dem Abzeichen der NSV-Frauenschaft.

Inzwischen war der Krieg immer schlimmer geworden. Die Front kam näher. Da wir hörten, daß die Brücke gesprengt werden sollte, gingen wir ins Moor. In Ostrhauderfehn war das Gemeindehaus eines der ersten Häuser, die zerstört wurden. Das Haus war weg, und unsere Sachen waren verschwunden. Wir fanden Unterkunft bei Verwandten von Frau Kapfermann. Endlich war der Krieg beendet.

Der polnische Adjutant, den ich aufsuchte, erlaubte mir, als Schwester weiter zu arbeiten. Als dann die Zivilpolen kamen, mußte in den Wieken die eine Seite geräumt werden. Die Bewohner bekamen Unterkunft bei den Leuten gegenüber. Bei Krankheiten wurde ich auch zu den Polen gerufen."

Soweit der Brief von Schwester Harmine. Sie besuchte "wie gewohnt" die Schwerkranken und Sterbenden, sie betete und ging zur Kirche, sie half den jungen Müttern und betreute die Schulkinder, sie fuhr im Winter bei Eis und Schnee mit dem Rad über die holprigen Fehnwege der Gemeinde, sie half, wo sie konnte, aus der Gewißheit der Liebe Gottes. Das war die "braune" Schwester Harmine.

[ Zum Seitenanfang ]

Der Ostrhauderfehner Pastor Küttner organisierte viele Fahrten, an die sich alle gern erinnern. Viele Frauen hatten nach den schweren Kriegsjahren zum ersten Mal die Möglichkeit, durch solch einen Ausflug die andere, nichtostfriesische Welt kennenzulernen. Hier besuchten der Kirchenchor und der Frauenkreis das ev. luth. Diakonissenmutterhaus Bethanien-Lötzen in Quakenbrück. Von hier kamen die Schwestern des Reilstifts in Westrhauderfehn. Vorn stehen die beiden Erna Tautes aus Ostrhauderfehn, links oben Reenstine Hemmen, in der Mitte Ursula Diekhaus, ganz oben Anneliese Pollack, dahinter die Frau ist unerkannt geblieben, rechts Hanni Kramer und Oma Freese. Das war im Mai 1957.

Zur Verfügung gestellt von Gerd Böttcher, Karl Heinz Nußwaldt, Hinrich Reents, Heinz Schipper, Grete Schulz, Erna Taute und Rita Ulferts.

[ Zum Seitenanfang ] [ Zurück zur Übersicht aller Artikel des Fehntjer Kuriers ]


[ Home ]
Hilfen ] [ Publikationen ] [ Aktuelles ] [ Overledingerland ] [ Zeitungsartikel ] [ Links ][ Startseite ]