[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 19.07.1990

Fehntjer Tragödie in den letzten Kriegstagen
Wobbine Jacobs rettete den Mühlenerben Roelf

Weitere Artikel zu diesem Thema: 

[ Zurück zur Übersicht aller Artikel des Fehntjer Kuriers ]


[ Zum Seitenanfang

Fehntjer Tragödie in den letzten Kriegstagen
Wobbine Jacobs rettete den Mühlenerben Roelf

Die Geschichte der Mühle von Rhaudermoor ist noch gar nicht so alt. Sie wurde im Jahr 1877 vom Kaufmann Conrad Philipp Graepel auf dem ehemaligen Ziegeleigelände gebaut, und zwar als Korn- und auch Sägewerkmühle, was man auf einer alten Postkarte noch gut sehen kann. 

Die Rhauderfehner Mühle bekam Roelf Müller von seinem Vater Rudolf.

Graepel verkaufte diese Mühle 1913 an den Müllermeister Adam N. Schoof, und dieser wiederum verkaufte sie 1930 an Tjebbo Rudolf Müller. So kam Roelf Müller zu seiner Mühle. Schwester Anna blieb in Zeldenrüst am Verlaat. Der Vater hatte das Einzugsgebiet der beiden Mühlen zwischen sich und seinem Sohn aufgeteilt. Für Roelf begann eine intensive Arbeitszeit.

In der Rhauderwieker Mühle hatte Roelf Müller viel Arbeit.

Der rasende Motorradfahrer Roelf Müller, hier ohne seine Motorradjacke.

[ Zum Seitenanfang ]

Das Alleinsein ist nicht schön. Das Rhauderwiekster Müllerhaus war für viele Leute ausgelegt. So heiratete Roelf Müller im Dezember 1934 die Kaufmannstochter Marianne von Halem, und im Jahr 1937 erfüllte Babygeschrei die hohen Wohnräume an der Inwieke (heute Ziegeleiring). Ein idyllisches Leben in einem Fehntjer Müllerhaus konnte seinen Anfang nehmen. Nach dem Mädchen mit Namen Magret wurde 1943 der Sohn Roelf geboren, und das Glück schien komplett zu sein. Wenn da bloß nicht der 2. Weltkrieg gewesen wäre.

Marianne von Halem vor ihrem Elternhaus in der 1. Südwieke.

Roelf und seine Marianne hatten wie die Vorfahren mit Parteipolitik nichts am Hut, wie die Jugend heute sagt. Trotzdem mußte er wie viele andere Männer auch in den Krieg ziehen. Der Müllermeister als Fernmelder? Danach fragte in jenen Tagen niemand. Doch die Ernährungslage wurde in der Heimat immer kritischer. Der Müllermeister durfte nach Hause und mußte wieder Korn malen. Seine einzige Funktion in dieser schweren Zeit war das Amt eines Aufsehers über das auf dem Marktplatz befindliche französische Kriegsgefangenenlager.

Die französischen Kriegsgefangenen vom Westrhauderfehner Marktplatz. Leider ist das Foto rechts so stark beschädigt, daß die beiden Personen dort nicht mehr erkennbar sind. Bislang konnte mir niemand die Namen nennen.

[ Zum Seitenanfang ]

Nach der großen Freude über die Geburt eines Sohnes im Januar 1943 folgte der Schmerz über den Tod seines Vaters im Dezember desselben Jahres. Die Mühle "Zeldenrüst" am Verlaat war in diesen schweren Kriegszeiten plötzlich ohne Müllermeister. Der Sohn Roelf hatte hier gelernt, und so übernahm er das väterliche Erbe. 

Der Müller mit seiner Frau Marianne bei einem Kuraufenthalt in Bad Pyrmont.

Seine Schwester Anna stand vor der Frage, wie alles weitergehen sollte. Ein Zufall (oder das Schicksal) kam zu Hilfe. Als Helmer Dirksen aus Weenermoor einen Kriegskameraden auf dem Fehn besuchte, lernte er Anna Müller kennen - und lieben. Die beiden heirateten 1944 und verzogen nach Weenermoor. Da entschloß sich Roelf, von der Rhauderwieke zum Verlaat umzuziehen.

Der neue Müller in der Rhauderwieke mit seinem Hund.

[ Zum Seitenanfang ]

Die letzten Kriegsmonate brachen an. Vater Rudolf Müller hatte gut vorgesorgt. Das Lager und die Mühle waren voll Korn, so daß der neue Müllermeister das ganze Fehn noch für ein Jahr mit Mehl hätte versorgen können. Weihnachten war vorbei. Im März näherte sich die Front. Ab und zu flogen Flugzeugstaffeln über das Fehn um ihre Bomben irgendwo abzuwerfen. In Esens mußten viele Kinder bei einem Angriff ihr Leben lassen, und auch Wilhelmshaven und Emden waren Angriffsziele der alliierten Bomberverbände.

Als in Deutschland eigentlich gar nichts mehr zu zerstören war, flogen einige Flugzeuge über Ostfriesland und hielten Ausschau nach lohnenden Zielen. Die Schiffswerft von Max Janssen hinter der Schleuse könnte vielleicht, so dachten die Späher, noch ein kriegswichtiges Unternehmen sein. Also sollte auch sie bombardiert werden.

Die Splitter- oder Sprengbombe fand am 12. April 1945 nicht das ausgespähte Ziel. Dafür traf sie das Müllervorderhaus neben der Mühle. Dort saßen in der Küche neben dem Laden der Müllermeister und seine Frau mit den Schwiegereltern und der Tochter Margret. Roelf Müller zeigte zwei ehemaligen Schulkameraden, die sich zufällig als Soldaten in dieser Region aufhielten, Fotos aus gemeinsamen Zeiten. In der Küche auf der anderen Seite neben der " Karnsteh" saßen die beiden französischen Kriegsgefangenen Jan und Michel sowie der polnische Fremdarbeiter Wenzel, dessen richtiger Name Wazlaw Krysloziak lautete.

All diese Personen waren schwer verletzt oder sofort tot. Das polnische Mädchen Zofia blieb am Leben, weil es dem Milchkontrolleur im Stall helfen mußte. Das Hausmädchen Wobbine Jacobs kletterte von außen in die Schlafkammer und nahm Klein Roelf aus seinem Bettchen. Beide überlebten, denn dieses Zimmer befand sich an der äußersten Ecke des Vorderhauses und hatte nicht soviel abbekommen.

Zwei Tage später fand die Beerdigung statt. Abends um sechs Uhr, denn noch immer bestand die Gefahr von Tieffliegerangriffen. Später verteilte der Vetter von Roelf, Johannes Müller von der Mühle in Backemoor, ein Quantum des nicht mehr mahlfähigen Korns an die Bevölkerung. Familie Heye Prahm versorgte mit Zofia die Tiere in den Stallungen der Fehntjer Mühle. Das Kleinkind Roelf kam zu seiner Tante nach Weenermoor. Noch war der Krieg nicht aus.

Diese Personen, Roelf Müller und seine Frau sowie die Schwiegereltern Hermann und Marie von Halem kamen bei dem Fliegerangriff ums Leben.

Schluß folgt.

 

Zur Verfügung gestellt von Käthe Meyer, Schleswig-Holstein

 

Erinnerung an die Zeit, als die Fehntjer Mühle beim Verlaat noch arbeitete. Links könnte ein Uken aus Ihren sitzen, dann Heinrich Krumminga, der in der Mühle etwa von 1938 – 41 gelernt hatte, und dann "oll Ferdinand", der den Müllerwagen fuhr. Die beiden linken Personen sind unerkannt geblieben.

 Weitere Artikel zu diesem Thema: 

 [ Zum Seitenanfang ] [ Zurück zur Übersicht aller Artikel des Fehntjer Kuriers ]


[ Home ]
Hilfen ] [ Publikationen ] [ Aktuelles ] [ Overledingerland ] [ Zeitungsartikel ] [ Links ][ Startseite ]