[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 13.09.1990

"Dampfer Dullart" zog die Pünte Leerort
Größte Drehbrücke verdrängte Emsfähre

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"Dampfer Dullart" zog die Pünte Leerort
Größte Drehbrücke verdrängte Emsfähre

Von Brücken geht ein eigenartigen Reiz aus. Sie faszinieren den Betrachter, kommt er doch heil und sicher über ein Hindernis, sei es ein Tal oder ein reißender Fluß. Gleich fällt einem Theodor Fontanes Ballade "Die Brücke am Tay" ein, und wer es musikalisch liebt, der summt den "River-Kwai-Marsch" oder den Kanon "Sur le pont d'Avignon". Brücken verbinden, sie überwinden das Trennende - und sie gewähren so manchem Obdachlosen Schutz vor den Unbilden der Natur.

Wir in Ostfriesland kennen sie überall, die kleinen Stege, die Drehposten, Battenposten und Ziehbrücken. Auch größere Brücken wie die Jann Berghaus-Brücke über die Ems sind uns nicht fremd. Zwar können wir nicht mit der Golden-Gate-Brücke von San Francisco konkurrieren oder der Nibelungenbrücke über den Rhein bei Worms oder der Hamburger Köhlbrandbrücke. Aber imposant ist jeder Brückenbau allemal, ganz gleich, ob in den Alpen, über den Fehmarnsund oder über die Ems bei Leer.

Allein die Leistung der Brückenbauingenieure erregt Bewunderung, denn solch ein Gebilde aus Stahl und Beton muß nicht nur Wind und Wetter trotzen, sondern auch noch dem ständigen Lastverkehr standhalten. Wie viele physikalische Probleme die Brückenbauer zu lösen haben, kann nur ermessen, wer sich mit den vielfältigen Bereichen der Statik schon einmal auseinandergesetzt hat.

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Wir kleinen Menschenkinder stehen später vor solch einem Meisterwerk und staunen, daß es nicht zusammenbricht. Herrliche Fotos lassen sich knipsen mit untergehender Abendsonne oder bei gefrierendem Eisregen. Nicht umsonst gibt es immer wieder Brückenmotive auf Briefmarken der verschiedensten Länder, und auch Postkartensammler können von der italienischen Rialtobrücke bis zur britischen Towerbridge ein ansehnliches Motivgebiet vorzeigen.

Wir aber wollen uns mit dem derzeitigen Brückenbau über die Ems beschäftigen. Für viele junge Menschen ist es eine einmalige Gelegenheit, solch einen Brückenbau von Anfang an aus der Nähe zu verfolgen. Früher hätte die Lehrerschaft immer wieder Ausflüge zu dieser Baustelle an der Ems gemacht. Heute scheint solch ein Betonlindwurm eine Alltäglichkeit zu sein, und kaum noch einer schaut aufgeregt zur Seite, wenn er über die alte, ausgediente Jann Berghaus-Brücke fährt.

Langsam nähern sich von den beiden Uferseiten zwei halbe Brückenteile und überspannen schon einen Teil des Emswassers. Irgendwann in den nächsten Wochen oder Monaten wird der Mittelteil eingelassen, und dann ist wieder ein regionales Jahrhundertwerk fertiggestellt.

Wir im Overledingerland, in der nassen Tiefebene zwischen Ems, Leda und Jümme mit den vielen natürlichen und künstlichen Entwässerungsgräben sind eingeschlossen von den breiten Flüssen, die unsere Region entwässern. Diese Wasserläufe bilden natürliche Barrieren für Menschen und Tiere, die "mal eben" auf die andere Seite wollen. Wir werden in unseren schnellen Bewegungsabläufen durch diese Flußläufe behindert.

Die letzte Fahrt der Emsfähre Leerort. In der "Ostfriesischen Tageszeitung" hieß es am Samstag, den 15. Juni 1940: "Fährverkehr wird eingestellt. Die Emsfähre bei Leerort hat ausgedient. Morgen wird die Brücke für den öffentlichen Verkehr frei. Wer die Brücke benutzt, hat, wie bisher, eine Gebühr zu entrichten." Über eine Einweihungsfeier steht weder am Montag noch am 1. Juli etwas in der Zeitung. Alle waren mit den Kriegsereignissen beschäftigt. - Oben an der Reling stehen von links: Brune Battermann aus Leerort; Hinrikus Maus, der später bei der Papenburger Schleuse von einer Schute fiel und ertrank; Hinnerk Maus, der später bei einem Sturm von einem Steg geweht wurde und ebenfalls ertrank, sowie Jan Gersema senior aus Coldam. In der Tür steht Hinnerk Sielmann, der die Fähre "lenkte", und aus dem Fenster guckt Aden Battermann, der andere Fährenleiter. Unten auf dem Anlegesteg steht ein unbekannter Soldat aus dem Schilderhäuschen auf der neuen Drehbrücke, der das Brückengeld kassierte, dann die Maschinisten Johann Fischer und Anton Sielmann von Schicht eins und zwei sowie Fährmeister "Herr" Kunert. Die anderen Herren mit den Anstecknadeln sind namentlich nicht mehr bekannt.

Da hilft eine Brücke oder auch ein Tunnel. Die in den dreißiger Jahren geplante Brücke über die Ems sollte so gebaut werden, daß der Schiffsverkehr nicht behindert würde. Zwei Millionen Reichsmark waren bei der Grundsteinlegung 1937 eingeplant. Ein drehbares Mittelteil machte diese neue Brücke zur größten Drehbrücke Europas. Angeblich sollen wir dieses Bauwerk nur den Aggressionsplänen Adolf Hitlers zu verdanken haben, aber das stimmt nicht. Im Gegenteil, der begonnene 2. Weltkrieg hat die Bauarbeiten nicht unerheblich verzögert, und nach Fertigstellung bedurfte es langwieriger Verhandlungen, bis das Reich die Baukosten des Landkreises übernahm.

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In den letzten Kriegstagen des Jahres 1945, am 24. April, wurde die imposante Drehbrücke gesprengt. Die aufmerksamen Jungleser werden jetzt fragen: "Und was nun?" Ja, wie sollten all die vielen Arbeiter nach Leer kommen, wenn das Mittelteil der Brücke in der Ems lag? Das Militär hatte schnell eine Notbrücke über viele Pontons konstruiert, aber die mußte irgendwann wieder demontiert werden, da sie der Schiffahrt den Weg versperrte. Wie also sollte der zivilen Personenverkehr wieder in Gang gebracht werden?

Eine der beiden alten dampfangetriebenen Emsfähren bei Leerort, die bis Mitte 1940 täglich (und auch des nachts) ihren Dienst taten. "In Stich un in Ruhstand" hieß das bei den Fährmännern, wenn die Pünten so nebeneinanderlagen. Über eine dampfangetriebene "Winsch" (Seilwinde) wurde der "Draht" aus der Ems gezogen. Bei harter Strömung mußte der Schiffer gut aufpassen. Gebremst wurde mit Holzklötzen. Im Winter zogen die Fährmänner das Drahtseil bei Eisgang heraus, da es sonst während der Frostperiode im Schlick versunken wäre. Überhaupt der Schlick: Ständig mußte das Deck abgespült werden! Das Steuerhaus auf unserm Foto, in dem das Püntengeld bezahlt werden mußte, ist erst später hinzugekommen.

Nur gut, daß alles, was unsere Vorfahren einst erfanden und erbauten, nicht gleich fortgeworfen, verbrannt oder zerstört wurde. In Leerort war die Anlegestelle der einstigen Emsfähre noch immer vorhanden. Und sogar die alte Fähre selbst, obgleich ihrer Dampfmaschine beraubt, konnte nach etlichen Überholungsarbeiten auf der Meyer-Werft in Papenburg an ihrer alten Wirkungsstätte wieder eingesetzt werden. Für die Menschen aus dem Rheiderland war es wieder möglich, über die Ems zu kommen.

Der Emsschlepper "Dollart", der nach dem Kriege die wieder in Dienst gestellte Pünte antrieb, jetzt mit modernem Führerstand. Im Hintergrund eine der vielen Ziegeleien des Rheiderlands. Früher gab es auch noch den Schleppdampfer "Jümme", auf dem schon Jan Gersema sen. gefahren war.

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Allerdings konnte die Fähre nicht mehr selbst fahren. Und ziehen, wie wir es von der Fähre bei Wiltshausen zwischen Amdorf und Loga her kennen, ziehen konnten selbst zehn Männer keine Fähre über die Ems. Es wurde ein kleiner Schleppdampfer gesucht und gefunden. Dieser wurde mit der Fähre fest vertäut. Drei Mann Besatzung auf dem kleinen Notschlepper und drei Mann Besatzung auf der Fähre - die Männer waren froh, wieder Arbeit zu haben. Der Schiffer mit Emspatent, ein Heizer und ein Decksmann bildeten eine Schicht "up Damper Dullart", und das gleiche galt für die Pünte.

Die nach dem Kriege wieder in Dienst gestellte Pünte Leerort. Links der Notschleppdampfer "Dollart", der nach jedem Anlegemanöver wenden mußte. Das nahm viel Zeit in Anspruch, vor allem morgens, wenn die Leute zur Arbeit wollten, und abends, wenn Feierabend war. Aus diesem Grunde erhielt die Fähre nach zwei Jahren in Papenburg wieder eine eigene Dampfmaschine, so daß sich der Verkehr alsbald nicht mehr bis in die Innenstadt staute. Im Hintergrund das Aikensche Bauernhaus. Hier war der Storch "Hermann" in den dreißiger Jahren aus dem Nest gefallen und verstoßen worden. Die Fährleute päppelten ihn auf. Er saß bei den Überfahrten gewöhnlich auf dem alten Püntenmast oder auf dem Kajütdach und nahm sogar an einer offiziellen Maifeier teil. Er blieb im Winter hier, weil Afrika so weit weg war. Dann übernachtete er im Kohlenschuppen und wurde langsam zum "Schwarz"storch.

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Eines Tages war das Mittelteil eingeschwommen und verankert worden. Die Fährleute und Maschinisten fuhren erneut "ein letztes Mal" über die Ems. Dann durften sie sich einen neuen Job suchen. Von nun an rollte der immer mehr motorisierte Verkehr wieder über die alte Drehbrücke zwischen Weener und Leer.

Heute, nach fast vierzig Jahren, ist die Drehbrücke altersschwach, verklemmt und ausgeleiert. Sie wird bald durch eine moderne Klappbrücke ersetzt. Das Jahrhundertbauwerk "Emstunnel" und diese neue Emsbrücke sind markante Zeichen unserer schnellebigen Zeit. Kaum noch jemand denkt zurück an das gemütliche Stampfen und Blubbern, Schlingern und Tuckern der Emsfähre bei Leerort.


Jan Gersema junior an Bord des "Dollart". Auf diesem Bugsierdampfer hat er nach dem Krieg für den "Wasserbau" weitergearbeitet. Dann machte er seine Prüfung und erhielt als Bootsführer die "Leda", auf der er bis zu seiner Pensionierung blieb, ohne je einen Tag zu fehlen. 

Heute lebt der 82jährige immer noch "up Noort" im alten Fährknechtenhaus, denn er braucht diesen Blick auf "seine" Ems.

Joke Fischer, Jan Gersema jun. und Fritz Plauschin vor dem alten Führerhaus von "Damper Dullart".

 

Zur Verfügung gestellt von Bini (Renskebina) Brüggemann, Archiv Gemeinde WOL, Bernhard Struck und Jan Gersema (3).

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