[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 04.10.1990

Schinken und Schnapsflasche gehören dazu
Auf dem Balken zum Richtfest

Weitere Bilder zu diesem Artikel finden Sie im Fehntjer Kurier v. 11.10.1990

[ Zurück zur Übersicht aller Artikel des Fehntjer Kuriers ]


[ Zum Seitenanfang

Schinken und Schnapsflasche gehören dazu
Auf dem Balken zum Richtfest

Ein "Richtfest nach altem Brauch", so hieß die Überschrift eines Artikels in einer Tageszeitung, als die Richtkrone über einem Neubau im Rhauderfehner Untenende am Firstbalken festgenagelt wurde. Allerdings, wie nun dieser gute alte Brauch gefeiert wurde, darüber stand nichts in dem Artikel. Denn das Hochhieven eines Richtkranzes und das Aufsagen eines Richtspruches ist nur der kleinste Teil eines zünftigen Richtfestes.

Zuallererst sitzen die Nachbarn täglich abends zusammen, um den Richtkranz oder die Richtkrone zu binden und mit farbigen Bändern zu verzieren. Dann kommt der große Tag. Wieder versammeln sich die Nachbarn und begeben sich zum Rohbau. Die Dachbalken sind geständert und festgenagelt, aber es fehlt ein "Speer". Jetzt beginnt ein Spiel, das die Bauarbeiter etwas nervt, denn die Nachbarn begeben sich nun auf die Suche nach dem fehlenden Dachbalken, und die Zimmerleute können nicht nach Haus. Dieses Suchen kann sich manchmal ganz schön in die Länge ziehen, wenn nicht nur die Fachkräfte vom Bau, sondern auch noch "Freunde" einen zweiten Balken in entgegengesetzter Richtung versteckt haben.

Dieses bis heute unbekannte Foto (links) fand ich in einem Ostrhauderfehner Album. Im Jahre 1927 wurden viele gute Wünsche beim Richtfest dieses Neubaus ausgesprochen. Nicht alle sind in Erfüllung gegangen. Aber jetzt ist wieder Leben in den Räumen, die so lange leergestanden haben. - 

Links das Jhmelsche Haus, später Dr. Leewog, rechts der Altbau der Buchhandlung. Über dem Torbogen baute Josef Kolk ein Atelier mit viel Glas, welches später wieder abgerissen wurde. Es diente der Künstlerfamilie Kolk aus Oberhausen als Maleratelier. Hier hatte auch der rothaarige Georg Hensmanns aus Idafehn (später USA) mit seinem "Studio Evelyn" Fototermine für die Bevölkerung. - Die beiden Zimmerleute ganz oben sind unbekannt. Unter ihnen steht ganz links Magda Eden/Stellamanns, ein unbekannter Herr, eine unbekannte Frau und der stattliche Herr in der Mitte ist Lehrer Thee Baumann aus Holterfehn, der mit seinem "Bio-Verein" schon vor über 60 Jahren recht berühmt war. Die beiden Jungen rechts oben sind unbekannt.- Im Fenster sitzt Fritz Eden. - Untere Reihe von links: Die Familie des damaligen Nachbarn, Torfhändler und Schiffsmakler Ulpt Janssen. Neben ihm wahrscheinlich Lehrer Beekmann aus Ostrhauderfehn, der wegen der damaligen großen Arbeitslosigkeit auf dem Büro bei Eden & Kolk arbeitete. (Josef Kolk war sehr sozial eingestellt und beschäftigte viele Menschen, die sonst keine Arbeit finden konnten.) Die junge Frau, die sich an den Haltepfahl des Telefonmastes lehnt, ist Hermine Kolk, verw. Eden, geb. Oltmanns. Neben ihr stehen Theda Lühring, geb. Baumann aus Holterfehn sowie Mariechen Goldsweer/Rosenfeld und Bäckermeister Struck.

Vor dem Bauzaun steht Conrad Jacobs, Austräger der damals weit verbreiteten Modezeitschrift "Vobach", die auch ein Versicherungsgeschäft betrieb. Dann folgt der Buchhalter Theo Kloppenburg und ein weiterer Austräger (Henning aus Jhrhove?), der ein Exemplar der o.g. Schnittmusterzeitschrift hochhält. Dahinter steht der Ladendiener Jann Diskus. Der nun folgende junge Mann mit dem weißen Kragen ist unbekannt, und dann folgt der Besitzer Josef Kolk höchstpersönlich. Rechts daneben Klempnermeister Christoph Eilts. Jetzt folgen die Musikanten, die bei einem Richtfest nicht fehlen durften: "Pläsmann" Lümko Hülsebus aus Ostrhauderfehn mit dem Schifferklavier, der ein großer Spaßmacher war. Er hatte in der Skagerrakschlacht auf dem Kreuzer "Frauenlob" gedient, was immer wieder zu Witzen Anlaß gab. Ein weiterer Zimmermann spielte die Geige, und ob der rechte Zimmermann auf der Wasserwaage musizierte, ist heute nicht mehr bekannt. Hinter dem Bauzaun stehen Bürgermeister Eilts mit seiner Frau. Dann wieder vor dem Bauzaun: der Bauunternehmer Heye Prahm aus Westrhauderfehn, der alte Schmied Brunsema oder der alte Christoffers, der bei Lammers wohnte, sowie hinter den drei Mädchen die Haushaltshilfe Lini Janssen aus der 3. Südwieke, die später einen van Dyk heiratete und mit ihm zum Moorgut Ramsloh verzog. Neben einer unbekannten Schönheit stehen dann Käthe Kolk, ein unbekannter Herr sowie der im 2. Weltkrieg gefallene Harry Eden.

[ Zum Seitenanfang ]

Wenn der fehlende Balken gefunden wurde, muß das natürlich gefeiert werden. Nachdem sich alle gestärkt haben, wird das Bauherrenehepaar auf den Balken gesetzt, und die Festgemeinde hievt beides mit einem langgezogenem "Hauruck" auf die Schultern. Langsam geht es Schritt für Schritt zurück zum Neubau. Je mehr Hindernisse im Weg sind, desto besser. Immer wieder muß eine Pause eingelegt werden, und der hochprozentige Inhalt so mancher Flasche neigt sich dem Ende zu. Die letzten Meter sind besonders schwierig, denn der oft versumpfte Boden und die schwankenden Träger geben Anlaß zu dem Verdacht, daß der Plumps der beiden Bauherreneheleute in eine große Pfütze nicht direkt beabsichtigt ist.

Die Zimmerleute sind froh, daß der fehlende Balken endlich da ist. Er wird eingepaßt und mit vielen guten Wünschen vernagelt. Vorsicht ist angesagt, denn der Hammer trifft nicht mehr so genau den Kopf des Nagels. Jeder Fehlschlag könnte auch ein "Fehlschlag" im zukünftigen Leben dieses Neubaus und seiner Bewohner bedeuten. Die Füße werden langsam voreinandergesetzt, und die Leiter im Innenbau wird im Kriechgang rückwärts bewältigt. Nur jetzt keinen Unfall bitte.

Richtfest 1932 beim Neubau von Kapitän Ulpts im Rajen, ein Haus nach dem heutigen Polizeigebäude. Unten von links: Dina Ulpts, die Nachbarin Ernestine Grüßing, der Junge vor ihr: Reinhard Pfeiffer, dann Frau Collmann und hinter ihr der etwas kleinere Bauunternehmer Collmann, auf einem Steinhaufen stehend. Es folgt der Großvater Harm Ulpts und neben ihm stehend sein Namensvetter mit dem weißen Bart, Berend Ulpts, der nur sehr weitläufig verwandt sein kann. Dann endlich einmal ein Bild von Segelmacher Heye Leefoge und neben ihm Schiffer Freerk Bluhm, der die Steine anlieferte.

In der Mitte sitzend: Gertrud und Hildegard mit ihrer Mutter, Frauke Ulpts, dann Menna Leefoge, Hanna Ewen und Johann Grüßing. Ganz links hocken Jakob Pollmann und Hermann Collmann, dann folgen Marie, Henny und Dini Leefoge. Auf gleicher Höhe, aber rechts auf dem Faß stehend: Lini Ewen mit der bunten Schürze und Anna Collmann mit dem dunklen Rock. Der junge Zimmermann, der die Stange umarmt, ist unerkannt geblieben, und ganz rechts sitzt Johann Collmann.

Ganz oben auf der Mauer stehen Catharina Roskamp, Magda Leefoge, Therese Collmann und Onkel Remmer Ulpts mit der Buddel in der hocherhobenen Hand. Dann sitzt dort wieder ein unbekannter Zimmermann. Stehend Martin Collmann, und wieder drei unbekannte Zimmerleute. Dann noch Therese Grüßing und davor das Kind ist Hilma Ewen. Der rechte Zimmermann an der Leiter ist namentlich ebenfalls nicht mehr bekannt.

[ Zum Seitenanfang ]

Draußen werden die fleißigen Handwerker singend erwartet. Wir kommen zum feuchtfröhlichen Teil des Richtfestes. Das hölzerne Kreuz für den Richtkranz ist schnell zurechtgezimmert. Schon etwas schwieriger ist das kunstvolle Herstellen eines Schinkens. Dazu ist es notwendig, daß sich die zukünftige Hausherrin dieses Neubaus in den übriggebliebenen Kieshaufen setzt. Denn es muß ja ordentlich "Maß genommen" werden, und das wäre am lebenden Objekt doch etwas unschicklich...

Wenn der Bauherr sich nicht "hören und sehen" ließ, wie letztens beim Umbau des alten Gulfhauses von Königskiel nach Mitling-Mark, dann hämmerten die Zimmerleute einen abgenadelten Weihnachtsbaum oben auf das Richtkreuz und eine leere Flasche. Aber das kam nicht oft vor.

[ Zum Seitenanfang ]

Mit einem Fuchsschwanz (die Säge heißt wirklich so) sägt ein Zimmermann die aufgezeichnete Schinkenform aus einem Reststück einer Planke. Die Stimmung nähert sich ihrem Höhepunkt, und etwas magenschwache Nachbarn, die wegen des angekündigten Richtmenüs mit leerem Magen gekommen waren, haben Probleme, den Rest der Zeremonie einfach oder doppelt zu sehen. An das Richtkreuz wird der hölzerne Schinken, die volle Schnapsflasche sowie der Richtkranz befestigt. Alles wird sehr vorsichtig über Leitern auf den Boden getragen. Wer noch einigermaßen standsicher ist, hat die zweifelhafte Ehre, auf einer Stehleiter das beschwerte Richtkreuz in den halbdunklen Abendhimmel zu heben, bevor ein zweiter möglichst nüchterner Mann das Lattenkreuz am hölzernen Dachstuhl annagelt.

Richtfest des Raiffeisen-Schuppens in Flachsmeer durch Bauunternehmer Hermann Poelmann im Jahre 1952. Der Richtkranz ist hier zwar nicht zu sehen, aber es war einer oben, denn man sieht noch den Schinken und die Flasche hängen.

Endlich kommt die Jugend zum Zuge. Mit Sprudel haben sich die Jungen und Mädchen wach gehalten. Ein kleines Häufchen Steine hat sich jeder gesammelt, und mit viel Hallo und Geschrei versucht nun jeder, die Flasche zu treffen und zu zertrümmern. Ruhe gibt es erst, wenn der hochprozentige Inhalt endlich durch die Gegend spritzt. Jetzt geht es ins Innere des Neubaus, wo über ein paar Kisten die mit Tüchern bedeckten Planken zum Sitzen einladen. Nach so viel mühseliger Schwerstarbeit haben sich alle, Nachbarn wie Zimmerleute, einen deftigen Richtschmaus wohlverdient.

Zur Verfügung gestellt von Hildegard Albert, Netti de Freese und Hans Rieke

Weitere Bilder zu diesem Artikel finden Sie im Fehntjer Kurier v. 11.10.1990

 [ Zum Seitenanfang ] [ Zurück zur Übersicht aller Artikel des Fehntjer Kuriers ]


[ Home ]
Hilfen ] [ Publikationen ] [ Aktuelles ] [ Overledingerland ] [ Zeitungsartikel ] [ Links ][ Startseite ]