[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 29.11.1990

"För’n half Groschen Zappkoek"
Nicht nur Langholter Herzen schlagen höher

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"För’n half Groschen Zappkoek"
Nicht nur Langholter Herzen schlagen höher

"Pingeling, ringring" scheppert die alte Ladenglocke. Durch die große Ladentür betritt ein Kind den altmodischen Geschäftsraum. Überall hängen Utensilien von der Decke, die Regale sind gefüllt mit Porzellan und Glassachen. Mit wenigen Schritten steht das Kind vor dem hohen Tresen. Von hinten rührt sich etwas. Die Kaufmannsfrau schlurft nach vorn. "Wat wullt du denn?" fragt sie das Kind. "För'n half Groschen Zappkoek", antwortet das Mädchen.

So war das damals. Für fünf gute Pfennige bekam ein Kind die gewünschten Süßigkeiten. Wer heute durch einen Supermarkt geht, findet zwar überall Preise von 99 Pfennig aufwärts bis hin zu 9.98 DM oder 49,99 DM. Die Werbesprüche springen in die Augen, der Ansager preist die unvergleichlichen Waren, und die Weihnachtsmusik berieselt die Käufer, um Kaufstimmung zu erzeugen. Die ältere Generation findet sich nur schwer zurecht, sie vermißt ihren "Tante Emma"-Laden. Aus diesem Grunde habe ich einmal ein paar Geschäfte aus meiner Bilderkiste herausgesucht, die von der Zeit erzählen, als Großmutter ihre älteste Tochter "up Boeskupp" schickte.

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Zuerst gehen wir einmal in die 2. Südwieke nach Ostrhauderfehn. Wer erinnert sich nicht gern an die Zeit, als man für ein paar Pfennige Süßigkeiten aus dem Bonbonglas erhielt? Über dem Ladentisch hingen die Papiertüten in allen Größen, rechts die Teewaage, denn es war der Stolz eines jeden Kaufmanns, seinen eigenen, speziell gemischten Tee zu verkaufen. Ait Aits stammte aus Pilsum, hatte Kaufmann in Emden und Weener gelernt, bevor er dann mit seiner Frau Thea aus Pewsum ein Geschäft in Eilsum eröffnete. Das lief aber nicht, so daß er sich nach etwas anderem umsah. Er erhielt die Auswahl zwischen Wilhelmshaven und Ostrhauderfehn.

Der junge Kaufmann Aits entschloß sich im Jahre 1909, das Geschäft van Oost in der 2. Südwieke von Ostrhauderfehn zu kaufen, das die Holter erst vor kurzem dort gebaut hatten. Fast 50 Jahre hat das Ehepaar dort zusammen mit den beiden Töchtern Greta und Gertrud den Kaufmannsladen betrieben. "Anners is Ait 'n feinen Keerl, man dat Karkloopen, dat verdarft hüm", sagte ein Nachbar über den grundehrlichen und immer hanseatisch vornehm gekleideten Kaufmann, der 35 Jahre lang im Ostrhauderfehner Kirchenvorstand mitarbeitete. 1956 wurde der Laden an Groeneveld aus Warsingsfehn vermietet, und 1966 wurde das Geschäftshaus aufgegeben und verkauft.

Kaufmann Ait Aits mit seiner Frau Thea hinter dem Tresen ihres Geschäftes in Ostrhauderfehn.

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Mit dem nächsten Bild kommen wir in ein geteiltes Dorf, das erstaunlicherweise neben einem Supermarkt noch fünf kleine Lebensmittelläden und eine Reihe Fachgeschäfte aufweist. Dieses Foto wird sicherlich alle Langholter Herzen höher schlagen lassen, denn von diesem Ort gibt es nicht sehr viel Fotomaterial.

Eine heute vergessenes Geschäftshaus aus der geteilten Ortschaft Langholt.

Im Frühjahr 1936/7 stellten sich Uhrmachermeister Gustav Harms und Friseurmeister Hans Lind vor die gemeinsame Eingangstür ihrer Geschäfte und ließen sich fotografieren. Drei noch kahle Linden standen vor dem heute abgebrochenen Haus gegenüber der St. Bonifatius-Kirche (heute Heißmangel). Hinten wohnten Wolters. Von der Frau erzählt man sich, daß sie nachts oft im Garten arbeitete ("steiht up Acker un holt sück wacker").

Wie ruhig damals das ländliche Leben war, erkennt man aus den Erzählungen der damaligen Mädchen. Stundenlang konnten sie vor den Ringen im Laden stehen und darüber debattieren, welcher wohl der schönste am Finger sei. Verdienen konnte Gustav Harms dabei nicht viel. Die Reparaturen von Taschenuhren und Weckern sowie der Verkauf von Stand- oder Wanduhren zu Geburtstagen, Jubiläen oder zum Weihnachtsfest brachte aber das nötige Geld zum Leben in die Kasse.

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Mit einem Riesenschritt überwinden wir jetzt die künstlichen Grenzen zwischen Langholt Ost und West, um über Hahnentange und Rajen mit dem Fahrrad nach Jhrhove zu fahren. Dort steht ein altes Haus mit modernen Reklametafeln. Eine alte Postkarte flüstert und schmeichelt, erzählt von Bäumen und dem Leben in einem Kaufmannsladen.

In diesem Haus von Jhrhove gab es früher einen kleinen Supermarkt.

Die handcolorierte Postkarte von Jhrhove schickten Anna und Everdine Ringwald aus Breinermoor am 19.September 1911 an ihre Freundin Gretchen Harms, die zu der Zeit in Schwelm im Martha-Maria-Heim ihre hauswirtschaftliche Ausbildung erhielt. "Du kommst auch ja wohl bald wieder, dann können wir wieder eine Lustfahrt machen nach der Waldkur", heißt es da auf der Rückseite.

Von der "Waldkur" beim Zoo von Onkel Heini gibt es eine ganze Reihe Karten, die die Besucher gern nach Hause schickten. Es war die gute alte Zeit, als eine fünf-Pfennig-Germania-Marke als Porto ausreichte. Es war die Zeit vor dem ersten Weltkrieg, als niemand Böses ahnte. Zu kaufen gab es fast alles. "Tee, Farben-, Kolonial- Eisenwaren-Handlung" stand auf dem Schild, "Wein-Niederlassung, Zigarren, Porzellan, Steingut, Glassachen", und darunter: "Ernst Biermann".

Das Geschäftshaus ist heute noch vorhanden. Wer von Folmhusen nach Jhrhove auf der ehemaligen B 70 fährt, die damals mitten durch Jhrhove führte, sieht das Eckhaus vor dem Lüdeweg. Auf der andern Seite des Lüdewegs hat ein Rechtsanwalt sein Büro. Wir schauen auf dem Bild also in Richtung Klinge, sehen den Schusterlehrling mit dem reparierten Paar Damenstiefeletten auf dem Weg zur Kundin und staunen über drei verschiedene, doch recht große Hunde. Das Schaufenster an der Lüdeweg-Seite ist heute zugemauert, die Straße ist asphaltiert, die Bäume sind nicht mehr vorhanden, und die Nachkommen der Familie Biermann wohnen in Emden. Doch das Haus steht heute noch genauso da wie anno 1911.

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Besuch per Postkarte erreichte die Seetjalk

Ein Foto (rechts) mit einer langen Geschichte. Es wurde wahrscheinlich von Lambertus Deepen aus Westrhauderfehn fotografiert, der rötlichbraune Abzug trägt "seine Handschrift". - Die kleine Netti links mit der weißen Schulschürze und dem schicken Hut kam gerade aus der Schule. Sie wurde am 11. Oktober 1904 geboren, das Bild dürfte also um 1907/8 im Rajen Ecke 2. Südwieke entstanden sein. An der linken Wand lesen wir "Gastwirtschaft, Posthalterei, Eisenwaren, Kolonialwarenhandlung, Zigarren". Ganz oben sind die drei letzten Buchstaben "mer" zu erkennen.

Im Rajen an der Ecke 2. Südwieke steht heute noch ein imposantes Geschäftshaus.

Dieses herrschaftliche Gebäude steht heute fast noch genauso da wie vor 90 Jahren, als es Weert Friedrich Plümer hat bauen lassen. Der Besitzer steht ganz rechts. Der Mann neben ihm ist Johann, einer der drei Söhne des Kapitäns und bekannten ehemaligen Auktionators Loop aus Rajen. Der andere Sohn Heinrich wurde Grossist in Bremen, Sohn Fokko hatte eine Fahrradgroßhandlung im Rheinland, nur Johann wollte nicht so recht, er hatte einen kleinen Hökerladen mit seiner Frau zusammen, keine drei Häuser weiter zur Kirche hin von Weert Friedrich Plümer entfernt.

Es folgt ein unbekannter Junge, dahinter Torfgräber Bernhard Platte aus der 2. Südwieke und die Maid von Plümer, eine Tochter von Schiffer Hinrich Holtz. Vor der Eingangstür Matrose Hinrich Schoon und mit der großen Schürze Fitje Nolte, der später in Leer an der Ecke Annenstraße ein eigenes Geschäft eröffnete ("Wat hett Fitje Nolte lecker Tee!"). Im Hintergrund ein unbekannter Mann und dann vielleicht Ulpt Janssen? Vor dem Schaufenster steht Hanni Dänekas (Frau Pöppelmeier) und daneben im schicken Anzug der Bäcker Conrad Jacobs, der bei Plümer arbeitete. Er sah seine Mutter von weitem aus der Rhauderwieke mit der Harke vom Heufeld kommen und rief: "Moeder, kumm gau, wi worn knipst!"

Jantjeline Wilhelmine Jacobine geborene Fecker steht also neben ihrem Sohn und davor die kleine Jeannette. Links ist Frieda Plümer zu erkennen, aus Weerts erster Ehe, die später im Untenende für kurze Zeit ein Fahrradgeschäft betrieben haben soll, bevor sie Folgert Duit heiratete. Der Mann ganz links könnte Schlachter Weers sein. - Das ganz kleine Mädchen in der Mitte ist Alma Plümer, die später den Tierarzt Janssen, Marienheil, heiratete; links daneben Anna Plümer, die Lehrer de Wall in Jhrhove heiratete; und das Mädchen mit den Händen vor der Kittelschürze war Wilhelmine, die den Bauer Grünefeld in Breinermoor heiratete. Die kleine Ida Plümer sowie die 2. Ehefrau von Weert Friedrich Plümer, Gretchen Watzema aus Breinermoor, fehlen auf diesem Bild.

Diese Fotopostkarte hat Mutter Jacobs ein paar Jahre später am 8.9.1911 an ihren Sohn Hinrich geschickt, der Schiffskoch auf der Seetjalk "Gesina Jacobs" war und zu der Zeit auf Helgoland mit einer Ladung Torf erwartet wurde. "Was sagst Du nun, mein Junge, daß Du auf einmal soviel Besuch kriegst? Vielleicht kennst Du sie gar nicht alle, mußt mal gut nachsehen. Ich war zufällig da, kam gerade vom Heu, und Netti kam aus der Schule. Papa ist hoffentlich gut wieder angelangt. Herzlichen Gruß und Kuß, auch für Papa. Mama und Netti".

Zur Verfügung gestellt von Margret Behrendt, Jeanette Brinkmann und Gertrud Meeuw. Die Fotos und Postkarten kommen aus Dortmund, Loga, Rajen und Wiesmoor.

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