[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 14.12.1989

"Swienslagten bi Kramers"
Am Schlachttag mußten die Kinder zur Schule

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"Swienslagten bi Kramers"
Am Schlachttag mußten die Kinder zur Schule

Hausschlachtungen, so stand es vor einiger Zeit im Landwirtschaftsblatt zu lesen, kommen immer mehr aus der Mode. Wobei zu fragen ist, ob die Hausschlachtung je eine Modeerscheinung gewesen ist. Das werden wir mit Fug und Recht verneinen dürfen. Der Schlachttag, das haben wir schon vor einem Jahr Ende November genau beschrieben, dieser besondere Tag gehörte zum ländlichen Alltag. Er war eingebettet in den Jahresablauf der Dörfer genauso wie auf den Fehnen.

Hier stellt sich Hermann Tinnemeyer aus Ostrhauderfehn stolz neben das frischgeschlachtete Schwein. Akkurat hängt das Tier an der Leiter. (1937)
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Hier stellt sich Hermann Tinnemeyer aus Ostrhauderfehn stolz neben das frischgeschlachtete Schwein. Akkurat hängt das Tier an der Leiter. (1937)

Damals vor einem Jahr haben mich viele Menschen angesprochen. "Wi hebb'n ok noch Bild" und: "Du hest de Fibeltext vergeeten!" Das mit den Bildern hat sich nun erledigt, sie stehen heute in der Zeitung. Es sind tolle Aufnahmen dabei. Aber der Fibeltext? "Jao, Swienslagten bi Kramers!" Nun war ich mit meiner Weisheit am Ende.

Auf den Fehnen war der Transport der verschiedensten Güter immer ein Problem. Torf wurde mit Mutten oder Tjalken abgefahren, Heu holten die Fehntler von weit entfernt liegenden Wiesen mit Schuten und Kähnen. Aber wie transportiert man ein Schwein? Nun, die Antwort zeigt unser Bild. Wie mir viele Leser bestätigten, war es nach dem Krieg durchaus ein alltägliches Bild, mit dem Handwagen etwas zu transportieren - auch wenn es vier Füße hatte wie dieser Läufer. Erna und Hermann bringen ihrer älteren und schon verheirateten Schwester Johanne dieses Schwein nach Ostrhauderfehn in die 2. Südwieke. Die Mutter Anna Kramer, geb. Hündling, ist mit dem marschfertigen Abtransport von Holterfehn aus einverstanden. Zufrieden schaut auch die ebenfalls schon verheiratete Schwester Theda Pohlenga mit ihrer Tochter Beate zu. Hannis Jung Oltmann scheint mit seinem Extraplatz auf dem Sauenfahrzeug nicht so ganz einverstanden zu sein, aber es bleibt ihm nichts anderes übrig, denn er kann nicht so weit laufen (1941).
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Auf den Fehnen war der Transport der verschiedensten Güter immer ein Problem. Torf wurde mit Mutten oder Tjalken abgefahren, Heu holten die Fehntler von weit entfernt liegenden Wiesen mit Schuten und Kähnen. Aber wie transportiert man ein Schwein? Nun, die Antwort zeigt unser Bild. Wie mir viele Leser bestätigten, war es nach dem Krieg durchaus ein alltägliches Bild, mit dem Handwagen etwas zu transportieren - auch wenn es vier Füße hatte wie dieser Läufer. Erna und Hermann bringen ihrer älteren und schon verheirateten Schwester Johanne dieses Schwein nach Ostrhauderfehn in die 2. Südwieke. Die Mutter Anna Kramer, geb. Hündling, ist mit dem marschfertigen Abtransport von Holterfehn aus einverstanden. Zufrieden schaut auch die ebenfalls schon verheiratete Schwester Theda Pohlenga mit ihrer Tochter Beate zu. Hannis Jung Oltmann scheint mit seinem Extraplatz auf dem Sauenfahrzeug nicht so ganz einverstanden zu sein, aber es bleibt ihm nichts anderes übrig, denn er kann nicht so weit laufen (1941).

Wir haben genug Fibeln zu Hause, wirklich. Ich habe sie alle durchgeblättert. "Swienslagten bi Kramers" konnte ich nirgends finden. Nun war guter Rat teuer. Welche Möglichkeiten gibt es noch? Aha, daran hätte ich auch gleich denken können. Wozu haben wir im Overledingerland ein Schulmuseum? Und wozu hat dieses Museum ein Archiv? Gedacht, getan. Eine kleine Anfrage mit Rückporto, und es dauerte nur ein paar Tage, da hatte ich die Kopie von Wimoed Reuer in den Händen. Ob unsere Leser genauso neugierig sind wie ich? Nun denn, hier ist der Text:

Swienslagten bi Kramers.

  1. Nun mutt he dran, sagte Vater Kramer, und die Mutter meinte: Dat Mehl is so düür! - `t is ook all `n heel mooj Bigge. Hoffentlich ist morgen gutes Wetter!
  2. Noch ist alles düster; aber bei Kramers sind schon alle Fenster hell. Auf dem Herd knistert ein großes Feuer; drüber hängt ein großer Kessel mit Wasser. Vater und Mutter trinken eben eine Tasse Tee, da kommt Gerdohm, der Schlachter. Um die Seite hat er einen Strick gebunden; in einem ledernen Köcher sind die scharfen Messer, in der Hand hält er das Schabeisen und unterm Arm ein Krummholz. Vor der Tür liegt der Trog.
    Freerk ist schon früh aufgestanden; er möchte heute alles genau sehen. Er denkt: Wenn ich heute doch bloß nicht zur Schule brauchte!
  3. Dat Water kookt, sagt Gerdohm, dann laat uns man hengaan. Nun geht alles in den Schweinestall: der Vater, die Mutter, Gerdohm, der Schlachter, und Freerk. Armes Schweinchen, ahnst du gar nicht, was mit dir geschehen soll?
  4. Die Schule ist aus, und Schweinchen hängt an der Leiter. Die Mutter sagt zu Freerk:
    Heute abend kriegst du deine Maus; die mußt du auf der Zange braten. Und dann paß gut auf, daß sie uns den Schwanz und die Pfötchen nicht fortholen!
    Nachher gehst du mal hinüber zum Nachbar und sagst: Freundlichen Gruß von Vater und Mutter, sie möchten heute abend auf Schweinevisite kommen. Morgen erst wollen wir Wurst machen; dann essen wir auch Schnirtjebra
    .
  5. Oh, die vielen Würste! Mettwurst, Blutwurst, Grützwurst, Leberwurst. Ich esse lieber Rotwurst mit Speck, meinte Freerk, aber Heini sagt: Mettwurst ist mir doch lieber.
    Kommt, Kinder, hier ist ein Körbchen, das tragt mal zu Lenamöj, die ist alt und schwach, und dann grüßt sie und sagt, hier wäre auch für sie ein wenig vom Schlachten."

Dies ist die Geschichte vom "Swienslagten bi Kramers". Nun sind unsere Leser sicherlich zufrieden, daß sie noch einmal diesen Text lesen konnten, den sie vor so vielen langen Jahren immer wieder geübt haben.

Auch heute noch können wir solch ein Schlachtfest fotografieren. Hausschlachter Reinhard Olthoff läßt sich 1970 von Bina Hahn "einen einschenken". Adelbert Olthoff, Dirk Hahn und Sohn Wilhelm sind zufrieden mit dem hängenden Ergebnis.
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Auch heute noch können wir solch ein Schlachtfest fotografieren. Hausschlachter Reinhard Olthoff läßt sich 1970 von Bina Hahn "einen einschenken". Adelbert Olthoff, Dirk Hahn und Sohn Wilhelm sind zufrieden mit dem hängenden Ergebnis.

Richtig, er stand in einer Fibel, der "Ostfriesenfibel". Die Ausgabe im Schulmuseumsarchiv trägt die Jahreszahl 1927. Wer also heute so um die 70 Jahre alt ist, der kennt diese Geschichte aus dem "ersten Lesebuch für die Kinder Ostfrieslands" genau. Warum, werden sich jetzt vielleicht einige Leser fragen, die mit der Reformschulbewegung der zwanziger Jahre nicht so vertraut sind, warum kennen viele Ostfriesen gerade diese Geschichte so gut?

Konrad Siemers (links) und Helmut Westermann (rechts) entborsten das Schwein bei van Diekens hinterm Haus in Ostrhauderfehn (etwa 1965)
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Konrad Siemers (links) und Helmut Westermann (rechts) entborsten das Schwein bei van Diekens hinterm Haus in Ostrhauderfehn (etwa 1965)

Die Antwort ist recht einfach: Das Lesenlernen bekanntlich ein schwieriges Unterfangen: Es gibt da die verschiedensten Methoden. Wenn ich nur die "Ganzwortmethode" erwähne, läuft es mancher Mutter heute noch eiskalt den Rücken herunter. "Du mußt die beiden Buchstaben zusammenziehen! Kr, Kr, Kranz, wie bei Kramer! Nun merk dir das doch endlich!" So verlief der Lesenlernprozeß in vielen Haushalten täglich mit viel Geschimpfe. Die Mutter sprach den Text immer wieder vor, und Heini oder Jan oder Manni sprach ihn nach bis, ja bis sie ihn auswendig konnten. Und auch die Mädchen, denn wenn sie älter waren, mußten sie mit dem jüngeren Bruder üben, üben und immer wieder üben! "Swienslagten bi Kramers!"

Jürn Ulpts aus Westrhauderfehn, 1. Südwieke, über den es viel zu erzählen gäbe, gießt mit einem "Steertpantje" heißes Wasser über das Schwein, damit die Borsten schön weich werden. So lassen sie sich leichter entfernen. Hinten bückt sich Edzard Meyer, daneben steht Auguste und links Meinhard mit Vettern Bernhard und Hansi.
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Jürn Ulpts aus Westrhauderfehn, 1. Südwieke, über den es viel zu erzählen gäbe, gießt mit einem "Steertpantje" heißes Wasser über das Schwein, damit die Borsten schön weich werden. So lassen sie sich leichter entfernen. Hinten bückt sich Edzard Meyer, daneben steht Auguste und links Meinhard mit Vettern Bernhard und Hansi.

 

Das Blutauffangen machte Oma Trientje Hündling, geb. Thomssen, selbst, sonst könnten ja vielleicht ein paar Tassen voll verloren gehen. Zwei bis drei Liter werden gleich auf dem Ofen warm gestellt und gerührt. Von der Schwarte wird etwas mehr als ein Kilogramm gekocht und dann durch den Fleischwolf gedreht. Mit 500 g Grieben sowie 750 g Roggenschrot wird alles vermengt. Natürlich kommen noch 60 g Salz, 2 g Pfeffer und 2 g Nagelpfeffer hinzu sowie das Rotwurstgewürz nach Vorschrift. Die fertige Masse füllt die Hausfrau in dicke Därme und bindet sie zu, denn die Blutwürste müssen nun noch 40 Minuten lang gekocht werden. Hausschlachter Casjen Schmidt (kniend) kennt das Rezept etwas anders, aber auch ihm und Bäcker Sanders (dahinter) sowie Sohn Karl Schmidt (hinter der Sau) wird am Abend diese Blutwurst zusammen mit Grützwurst sowie Schwarzbrot und Sirup schmecken. Dafür sorgt schon das Hochprozentige, welches Anna Kramer, geb. Hündling, hier in Holterfehn im Jahr 1934 den Männern kredenzt.
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Das Blutauffangen machte Oma Trientje Hündling, geb. Thomssen, selbst, sonst könnten ja vielleicht ein paar Tassen voll verloren gehen. Zwei bis drei Liter werden gleich auf dem Ofen warm gestellt und gerührt. Von der Schwarte wird etwas mehr als ein Kilogramm gekocht und dann durch den Fleischwolf gedreht. Mit 500 g Grieben sowie 750 g Roggenschrot wird alles vermengt. Natürlich kommen noch 60 g Salz, 2 g Pfeffer und 2 g Nagelpfeffer hinzu sowie das Rotwurstgewürz nach Vorschrift. Die fertige Masse füllt die Hausfrau in dicke Därme und bindet sie zu, denn die Blutwürste müssen nun noch 40 Minuten lang gekocht werden. Hausschlachter Casjen Schmidt (kniend) kennt das Rezept etwas anders, aber auch ihm und Bäcker Sanders (dahinter) sowie Sohn Karl Schmidt (hinter der Sau) wird am Abend diese Blutwurst zusammen mit Grützwurst sowie Schwarzbrot und Sirup schmecken. Dafür sorgt schon das Hochprozentige, welches Anna Kramer, geb. Hündling, hier in Holterfehn im Jahr 1934 den Männern kredenzt.

 

Auf einem Bauernhof war der Schweinetransport wesentlich einfacher: Hier liefen die Borstenviecher selbst. Meinhard Meyer treibt die Sau mit ihren Ferkeln auf die Weide.
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Auf einem Bauernhof war der Schweinetransport wesentlich einfacher: Hier liefen die Borstenviecher selbst. Meinhard Meyer treibt die Sau mit ihren Ferkeln auf die Weide.

Zur Verfügung gestellt von Anni van Dieken, Netti de Freese, Erna Lühring (2), Wilhelmine Pruin und Hanne Scheer (2).

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