[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 18.04.1991


 

Vom Rollmops bis zum Bismarckhering

 

In der Nesserlander Schleuse ließen sich die Besatzungen der Heringslogger gern vom Emder Hafenfotografen aufnehmen. Frisch rasiert erkennen wir von links: Heinrich Meiners, Kapitän Johann Meiners aus Burlage, Hans Meiners, Hans Behrens und dahinter Wilhelm Hanneken. Mit dem Reep sein Bruder Bernhard Hanneken und dahinter Hans Grüssing. Mit den verschränkten Armen Hermann Weber aus Burlage, dahinter Johannes Bohlmann und mit den Seestiefeln Jacobus Rieken aus Burlage. Dahinter Heinrich Grüssing, daneben ein Zollbeamter, rechts daneben Hermann Meyer und ganz rechts ein Matrose von den Sieldörfern. Davor steht Bernhard Meiners.


 

Die vollen Kantjes werden vom Logger gerollt und an Land liegend aufgestapelt. Rechts Wilhelm Hanneken und links Jakob Rieken aus Burlage.


 


 

Weiter geht die Jagd nach dem jungfräulichen Hering


 

Auch auf der "Dreesmann Penning" mußten die Heringe sofort geschlachtet werden, um anschließend gesalzen in die Kantjes verpackt zu werden.


 

In der vorigen Ausgabe haben wir den Koch der "Luise Henriette" auf einem Foto erwähnt. Dieser Smutje Theodor Janssen aus der 2. Südwieke von Westrhauderfehn konnte sehr schmackhafte Gerichte zubereiten. Das Original-Pökelfleisch kam damals aus den USA, erst später aus Dänemark. Theo Janssen nahm es schon am Freitag aus dem Faß, am Sonnabend kochte er es dann einmal kurz auf und goß den Sud weg. Anschließend wurde nun das Sonntagsmenu vorbereitet. Aus einer Sandkiste entnahm er verschiedenes Grünzeug und Kräuter, so daß dieses Festessen nicht nur nahrhaft, sondern auch vitaminreich war.

Wilhelm Hanneken fuhr auf der "Luise Henriette" mit diesem wirklich guten Koch, bis der 1905 bei Cassens gebaute Segellogger mit Hilfsmotor im Dezember 1934 bei seiner letzten Heimfahrt Grundberührung vor Borkum-Riff bekam und aufgegeben werden mußte (s. F.K. v. 16.11.89). Die Mannschaft konnte in einer dramatischen Aktion gerettet werden. Das Wrack der AE 93 versandete mit der Zeit zwischen der Oster- und Westerems.

Matrose Hanneken, der in den Wintermonaten schon die Seefahrtsschule in Leer wegen des Steuermannpatents besuchte, musterte 1935 auf der moderneren AE 121 an, die "Dreesmann Penning" hieß. Dieser Motorlogger war schon so gebaut worden, daß er später einmal in Kriegszeiten als Vorpostenboot dienen konnte. Die Besatzung unter dem Burlager Kapitän Johann Meiners haben wir mit einem Mannschaftsbild am 28.12.89 im Fehntjer Kurier vorgestellt.

Wieder ging es ab Mai auf die Jagd nach dem jungfräulichen Hering, der gekehlt in der Salzlake vieler Kantjes seine erste Reife zum "Matjes" erhielt. Die Frage nach dem Ursprung dieses Wortes ist nicht einfach zu erklären. Zumindest hat das Wort etwas zu tun mit diesem Reifungsprozeß, der das Fischfleisch zart und lecker schmecken läßt. So wie aus Most der Wein entsteht, so wie aus Quark ein Gouda oder aus Sauerteig ein Brot wird, so entwickelt sich aus dem frischgefangenen, sofort geschlachteten und gesalzenen Hering später an Land in der Heringsfabrik durch Enzyme ein Stoffwechselprozeß in den Heringsfässern, aus denen dann der würzige "Emder Matjes" kommt.

Neben dem Matjes gibt es noch viele Zubereitungsformen des Herings, vom Rollmops bis zum eingelegten Bismarckhering. Dieser Fisch hat seit Jahrhunderten große Bedeutung für die Volksernährung gehabt. Schon im Jahre 1597, also vor fast 400 Jahren, gab es in Emden ein gedrucktes Gesetzeswerk: "Ordnungh des Heringes". In vielen Paragraphen wird genau vorgeschrieben, was vom Steuermann bis zum Böttcher zu tun war. Das "vangen, solten, hantieren, packen, uphoegen und leggen des Heringes" war genauso geregelt wie die Herstellung der Kantjes.

Ganz besonderer Wert wurde auf die Qualität des Fisches gelegt: "Die Koermeister sollen darauf achtgeben, daß keine unsauberen oder beschädigten Heringe, keine fließenden Rogner oder süßen Heringe, keine fließenden Milchner oder andere ungeeigneten Heringe mit aufgefüllt" werden in die Kantjes. Und weiter heißt es in der Übersetzung der alten Vorschriften: "Alle Steuerleute sollen ihre äußerste Sorgfalt und ihr bestes Können darauf verwenden, daß die Heringe gleichmäßig zu viert in Lagen von einem Boden zu den anderen gelegt und nicht aus den Körben in die Tonnen geworfen werden."

Diese Regeln waren eindeutig. Fast jeder Handgriff war vorgeschrieben, und das vor bereits 400 Jahren, als man noch gar kein Lebensmittelgesetz im heutigen Sinne kannte. Eine weitere Blütezeit des Heringfangs setzte 1769 ein, also etwa zur Zeit der Fehngründung zwischen Rhaude und Langholt. Der preußische König Friedrich d. Gr. erließ am 4. August einen Erlaß, der Emden zum alleinigen Heimathafen für die preußische Heringsfangflotte machte.

In der hannoverschen Zeit wurde der Heringsfang arg vernachlässigt. Erst 1871 lebte die alte Fangtradition am Emder Hafen wieder auf, als sich dort ein niederländischer Betrieb niederließ. Er firmierte unter dem Namen "Emder Heringsfischerei Aktiengesellschaft" und ließ die in Holland erprobten Logger bauen, die somit die bisherigen "Buisen" ablösten.

Am bekanntesten ist bis heute die Aktiengesellschaft "Großer Kurfürst" geblieben, die 1904 in Emden gegründet wurde. Sie hatte einen Schiffsbestand von 21 Loggern bis zum 1.Weltkrieg. Danach wurden ausschließlich stählerne Logger gebaut, und die Flotte der Dampf- und Motorlogger stieg auf imposante 65 Einheiten an. Nach dem 2. Weltkrieg lebte der Heringsfang noch einmal auf. Wer erinnert sich nicht an die großartigen Berichte über den jahrelangen "Heringskönig" Harm Wiese vom andern Fehn? Dann wurden die Emder Gesellschaften 1969 nach Bremerhaven verlegt, und im Jahr 1976 kam das endgültige Aus für den deutschen Heringsfang.

Heute wird in Zeitungen, Illustrierten und im Fernsehen gewarnt vor der räuberischen Industriefischerei. "Schwimmende Fabriken pflügen durch die Ozeane", heißt es da, und: "Sie lassen eine Schneise der Zerstörung zurück." Moderne Fangflotten und hochseegängige Fabrikschiffe, die Echolot und Fangradar zur Ortung der Fischschwärme an Bord trugen, haben in den Jahren von 1950 bis 1970 die Nordsee abgeerntet, so daß später die wenigen Erlöse kaum mehr die Ausfahrten der Schiffe lohnten.

"Gib dem Menschen einen Fisch," schrieb einst der chinesische Philosoph Konfuzius, "und er lebt davon einen Tag. Lehre ihn zu fischen, dann ernährt er sich sein Leben lang." Das müssen die Manager der Fischindustrie falsch verstanden haben.


 

Per Hand wurden die mit Fisch gefüllten Netze (Mitte) an Bord der AE 121 geholt. Das war mit die schwerste Arbeit, die außerdem fürchterlich lange dauerte.


 

In der Ferne achtet ein niederländisches Fischereischutzboot etwa um 1928 darauf, daß die genau begrenzten Fanggebiete eingehalten werden.


 

Heringe, nichts als Heringe! Das ist ein schwerer Hol! Rechts Kapitän Johann Meiners aus Burlage und links Johann Grüssing. An diesem Tag gab es so viel Heringe, daß Kapitän Meiners gezwungen war, einen großen Teil dieses Fangs an andere Logger abzugeben, weil sonst die Arbeit nicht zu schaffen war.


 

Das "Reep" läuft, die Netze werden ausgesetzt, begleitet von dem Ruf der Mannschaft: "Geschooten Fleet - Gott segne use Arbeit". Rechts der Steuermann Bernhard Hanneken.


 

Der Motorlogger "Dreesmann Penning" bei der Ausfahrt aus seinem Heimathafen Emden. Der Logger wurde 1934 bei Schulte & Bruns in Emden gebaut und 1957 nach Norwegen verkauft.


 


 

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