[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 11.07.1991


 

Ist der Bastard doch ein Meisterwerk?


 

Im Jahre 1947 machte die Völlenerfehner Mühle einen etwas trostlosen Eindruck.

 

 

Die Haube der Völlenerfehner Mühle wird in Einzelteilen heruntergelassen.

 

 

Das erste hölzerne Segment der ehemaligen Riepster Wasserschöpfmühle wird mit Hilfe einer Kopfstange auf die Völlenerfehner Mühle hochgezogen und draufgesetzt. Foto von 1958.


 

Die Flügelwelle wird auf den neuen Achtkant hochgezogen.


 

B.A.G hat als einer der ersten in Ostfriesland 1962 bei seiner Mühle in Völlenerfehn die in den Niederlanden erfundenen "Fouel-Wieken" angebracht. Am besten läuft eine Mühle, wenn der Wind 10 Grad von rechts auf die Flügel drückt. Die Fouel-Wieken leiten besonders schwache Winde von hinten um die Flügel, so daß der Wind ähnlich wie beim Focksegel anschließend seine volle Wirkung entfalten kann. Bei sehr starken Winden hat dieser Flügeltyp eine eigenartige Bremswirkung, so daß er doppelt wirksam ist. Wir erkennen diesen abgerundeten Flügel mit den zwei Wirkweisen links am Hinterflügel.

 


 

Oma Goldensteins Mühlenidee verwirklicht


 

Im nächsten Jahr, 1959, ist Bernhard Antoni Goldenstein dabei, die Flügel fertigzustellen.

 

Da steht sie nun, diese Mißgeburt. Oder ist der Bastard doch ein Meisterwerk ? Wer von Papenburg auf der B 70 nach Leer fährt, sieht die schlanke Windmühle schon von weitem. So mancher Feriengast sagt sich dann: Nun bin ich in Ostfriesland, ich habe die erste Windmühle gesehen. Aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.

Diese hübsche Windmühle hat es in sich. Erstens dreht sie sich kaum, selten oder gar nicht. Und einen richtigen Müller kann man weder im Inneren noch auf der Galerie arbeiten sehen. Der jetzige Besitzer ist erkrankt und möchte das Schmuckstück gerne verkaufen. Der Ortsrat ist natürlich interessiert, doch die Gemeinde Westoverledingen hat schon eine Mühle in Mark bei Mitling am Emsdeich. Nur eine ? Ja, nur eine.

Gab es denn früher mehr ? Oh ja, das Overledingerland war früher reich bestückt mit Mühlen aller Art. Auf einer alten Karte aus dem Jahre 1769, dem Gründungsdatum des Rhauderfehns, sind schon vor der Gewerbefreiheit der napoleonischen Zeit viele kleine Bockwindmühlen verzeichnet. Um 1810 gab es dann einen Bauboom für Holländermühlen in ganz Ostfriesland, von denen aber bis heute nur wenige überlebt haben.

Die letzten heute noch existierenden Windmühlen stehen alle unter Denkmalschutz. Der laufende Unterhalt dieser technischen Denkmale ist teuer, die Nutzung ist eingeschränkt, vor allem, wenn in ihnen wieder richtig gemahlen werden soll. In der Mühle zu Mark geht das. Die Mühle in Völlenerfehn aber ist renovierungsbedürftig.

Versuchen wir einen kleinen Rückblick. Von dem alten Emsdorf Völlen entwickelte sich das Völlener-Fehn und später das Völlener-Königs-Fehn (Hundsteert). Der Müller in Völlen mußte eines Tages die Konkurrenz einer neuen Bockwindmühle zulassen, die etwa 1823 im unwegsamen Heideland von Völlener-Fehn gebaut wurde.

Als sich auch in Ostfriesland der Typ der Holländerwindmühle durchsetzte, wurde diese Völlener-Fehner Bockwindmühle 1851 ersetzt durch einen sogenannten Erdholländer. Dieser Typ, auch Wallholländer genannt, ersparte viel Mauerwerk. Der Nachteil war, daß nach einer "Baulückenschließung", wie es heute heißt, solch eine auf einem Hügel stehende kleine Mühle nicht mehr genug Wind hatte. Als Bernhard Antoni Goldenstein die Völlenerfehner Mühle im Jahre 1954 kaufte, war die Mahl-Leistung dieser 1945 fast zerstörten Mühle ausgesprochen gering. Goldenstein sann auf Abhilfe.

Diesen Namen "Goldenstein" muß man auf der Zunge zergehen lassen. Goldenstein, ein güldener Stein, ein goldfarbener Edelstein, ein Topas, eingefaßt durch einen goldenen Reif. Schon um 1170 taucht dieser Name in Köln auf: Gerardus Goltstein. Wie er nach Ostfriesland gekommen ist, weiß Bernhard auch nicht. Dabei weiß er sonst alles! Irgendwann vor über 150 Jahren hat einer seiner Vorfahren, der Landwirt A. H. Tatjes aus Berumerfehn, auf Geheiß des ungeliebten französischen Imperators sich diesen Familiennamen bei der Heirat zugelegt. Seinen ersten Sohn nannte er nach dem Großvater: "Hye Antons" mit dem neuen Familiennamen "Goldenstein". Die Mutter verstarb wenig später, und Hye wuchs bei den Großeltern mütterlicherseits im Compagniehaus von Berumerfehn auf.

Dieser erste richtige "Goldenstein" heiratete später mit 35 Jahren eine sehr aktive, fast möchte man sagen, emanzipierte Frau, die Haustochter Foskea Hokema von der Domäne Fliehaus in der Krummhörn. Die junge Ehefrau ärgerte sich, so wird erzählt, immer wieder über den hohen Schrotlohn, den sie bei Windstille für die Motormühle in Norden bezahlen mußte. Sie sagte sich: Dieses Geld kannst du sparen, wenn dein Mann eine Mühle anschafft. Gesagt, getan. Hinter dem Compagniehaus in Berumerfehn wurde 1864 auf einem Sandhügel die frühere Wind-Wasserschöpfmühle aus Halbemond aufgebaut. Die Goldensteins hatten eine Mühle, und seit dieser Zeit sind sie Müller.

Dieses unternehmerische Kribbeln seiner Großmutter sitzt Bernhard noch heute im Blut. In seinem ganzen Leben hat er immer wieder etwas Neues angefangen, hat nie den Kopf in den Sand gesteckt, wie schlimm der Schicksalsschlag auch sein mochte. Depressionen, bunte Kügelchen als Stimmungsaufheller und einen Dr. Psychiater, das sind Fremdworte für B.A.G.

Bernhard Antoni Goldenstein ist stolz auf seine Initialen. B.A.G. steht wie das V.A.G. eines bekannten Autombilkonzerns für Qualität, Innovation und Exaktheit (ich möchte an dieser Stelle keine Reklame für VW oder Audi machen). Wer Bernhard Antoni Goldenstein fragt, bekommt immer eine sachkundige Antwort. Wenn er damals unter der napoleonischen Regierung gefragt worden wäre, welchen Familiennamen er hätte haben wolle, dann hätte er vielleicht "Goldfinger" gesagt. Denn alles, was Bernhard anpackte in seinem Leben, hat er mit dem Erfindungsgeist und dem Sachverstand eines Ingenieurs "goldrichtig" ausgeführt.

Das beste Beispiel ist diese Mühle in Völlenerfehn. Damals, als sie ihm zum Kauf angeboten wurde, begann bereits überall in Ostfriesland das große Mühlensterben. B.A.G. ließ sich nicht verwirren. Aus dieser kleine Mühle müßte man etwas machen können. Er dachte hin, er dachte her und erinnerte sich an den Kauf der windangetriebenen Wasserschöpfmühle seiner Großmutter. Eines Tages hatte er ein kostengünstiges Angebot. B.A.G. erhöhte nicht das Mauerwerk seines Wallholländers, sondern den Achtkant. Auf den niedrigen Erdholländer setzte er den schlanken Achtkant einer ehemaligen Wassermühle aus dem Riepster Hammrich. Später wurde der Binnenflügel ausgetauscht gegen die in Amsterdam entwickelten Vaulschen Wieken. B.A.G. hatte eine tolle Mühle mit einer Superleistung geschaffen.

Mißgeburt, Bastard oder Wunderwerk ? Der traditionelle Windmüller guckt stolz von seiner Galerie auf die kleinen Bockwindmühlen, Koker, Flutter u.ä. herunter. Aber was nutzt der stolze Blick, wenn dieser Müller nicht mehr das Geld verdient, um seinen mächtigen Holländer reparieren zu können ? B.A.G. hat den sachverständigen Blick für das anstehende Problem. Er hat vor vierzig Jahren in Völlenerfehn eine leistungsfähige Windmühle gebaut, die ihr Geld einbrachte. Dieses technische Meisterwerk des "B.A.G. mit den Goldfingern" ist einzigartig bis weit über Ostfrieslands Grenzen hinaus. Wie lange können wir uns noch an seinem Anblick erfreuen ?


 

Der alte Erd- oder Wallholländer in Völlenerfehn. Am Flügel steht Müllermeister Ulrich Steen, unten sind seine Frau und eine Maid zu sehen. Aufnahme aus dem Jahre 1923.


 

Die windangetriebene Riepster Wasserschöpfmühle des Bauern Inninga, die nicht mehr benötigt wurde, weil die Sielachten eigene, leistungsfähige Schöpfwerke gebaut hatten. Im Jahre 1957 mißt Mühlenbauer Wurps die Flügellänge mit 14,50 m aus.

 

 

Fertig ist die neue Mühle. Über der Tür prangt das Schild: "Mühle Goldenstein".

 

 

Das Anbringen der Flügel in früheren Jahren kann man sich heute im Zeitalter des Autokrans und der Hubschrauber gar nicht mehr richtig vorstellen. Damals ging alles per Hand. Der hintere Flügel war schon installiert. Jetzt kam die erste Hälfte des Vorderflügels dran. Die ganze Familie und die Nachbarn packten mit zu.

 

 

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