[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 26.09.1991


 

„Wir sammelten Spargroschen für den Augustmark“

 

Auf diesem etwas altersschwachen Foto aus dem Jahre 1935 sind die Mitglieder des Gesangvereins "Erika" aus Steenfelderfeld abgebildet. Der Chor übte in der Schule Flachsmeer seine Lieder ein. Wenn ein Mitglied heiratete, gab es zur Hochzeit eine Wanduhr. Auf einem kleinen Schild stand dort: "Gewidmet vom Chor Erika". Obere Reihe von links: Reinhard Körte, Aaltje Poelmann geb. Körte, Ettje Hahn, dahinter ein anderer Poelmann, Wübke Peters geb. van Deest (wohnte "vörn up Hundsteert"), mit dem breiten Kragen Rita Brink, geb. Frey, dahinter Theodor Bunger, dann Berta Hahn. Die junge Frau mit dem Jäckchen ist unbekannt, dahinter Helene Wiemers geb. Priet. Mit dem dunklen Gürtel Hermine Feldmann geb. Schmidt, dahinter Hinnerk van Deest und daneben Hans Körte. Davor Hilke Feldmann geb. Körte, daneben Johanne Schaa geb. Poppen und dahinter Ernst Feldhuis. Rechts neben ihm Johann Janssen von Völlenerk”nigsfehn und vor ihm Lini Diederichs aus dem Geschäft. - In der 2.Reihe von links: Lehrer Bernhard Vette, Lübkedine Grünefeld geb. Veenhuis und Berta Bunger geb. Voß. Vorn von links Dirk van Deest, Heyo Bunger sowie Johann und August Feldmann. (Hoffentlich habe ich diesmal alle Namen richtig geschrieben und nicht wieder Bloem mit Bluhm verwechselt.)


 


 

„Völlig ermüdet kamen wir in Flachsmeer an“

 

Tante Stientje hatte geschrieben, ich könne in den großen Ferien wieder kommen. Onkel Diederich nahm mich mit. Seine beiden Jungen, meine Vettern Bernhard und Hermann, wollte er zu Onkel Peter bringen. Obwohl wir nun mit einem Eilzug fuhren, war ich doch froh, als wir in Steenfelde aussteigen konnten und ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

Das alte Haus der Großeltern war abgerissen. An seiner Stelle stand ein neues hellrotes Backsteinhaus. Tante Mintjes Mann, der Onkel Folkert, war wieder zu Hause. Sein Soldatenbild hing eingerahmt über der Stubentüre. Darunter stand: "Ruft einst das Vaterland uns wieder, als Reservist, als Landwehrmann, so legen wir die Arbeit nieder und folgen treu der Fahne dann." Tante Mintje hatte nun fünf Jungen, und Onkel Diederich meinte, das läge wohl in der Familie.

Onkel Detert holte uns mit seinem Fuhrwerk ab. Das Pferd lief im Trab nach Flachsmeer, und wir wurden auf den losen Planken des Leiterwagens ordentlich durcheinandergeschüttelt. Lachend hielten wir uns aneinander fest. Vor Tante Stientjes Haus sprang ich vom Wagen. Wieder stand sie froh am Gartentor und gab mir einen Kuß. Den kleinen Hinrikus, den sie "Hinni" nannten, kannte ich noch gar nicht. Im Haus packte ich für alle die kleinen Geschenke aus, und dann gab es Tee und runde Zwiebäcke mit guter Butter und Zucker drauf. In Steenfelde hatte ich nichts getrunken und blieb dann auch von den schäbigen Hitzepocken verschont. Mit Stinelies schlief ich wieder zusammen im Butzenbett.

Schon sehr frühmorgens wurde ich von lautem Geklapper wach. Johann und Swantje waren auf der Diele am Dreschen. Sie schlugen mit Dreschflegeln die reifen Körner aus den Ähren. In der Küche wurden wieder jeden Tag Bohnen aufgereiht, und eine lange Schnur nach der andern unter die Balken aufgehängt. Freitags wurde dann das Vorderhaus geschummelt. Eine Unmenge Wasser mußte dafür hochgepüttet werden. Wir schrubbten die roten Steine bis zum Garten hinaus, und zum Sonntag wurden alle Wege im Garten gesäubert und gleichmäßig geharkt, so daß man kaum wagte, darüber zu laufen. Mit den jungen Kätzchen spielten wir "Mutter und Kind". In den Puppenkleidern sahen sie allerliebst aus und ließen sich sogar von uns ins Bett legen. Nein, bei Tante Stintje in Flachsmeer bekam ich kein Heimweh.

Alle Kinder im Dorf sammelten das ganze Jahr hindurch ihre Sparpfennige für den Augustmarkt. Die Groschen in meinem Handtäschchen wurden nun mein "Marktgeld". Am letzten Sonntag im August zog ich mit der Dorfjugend schon vormittags los. Hinter der kleinen Kapelle nahmen wir unsere Schuhe und Strümpfe in die Hand. So lief es sich schneller im losen weichen Sand. Die Jungen des Dorfes folgten in einigem Abstand. Immer wieder wurden Fragen und Antworten vor- und zurückgerufen. "Wor go ji hen?" Wir Mädchen antworteten kecke: "Nah't Maket." Die Frage für den Rückweg wurde schon vorweggenommen: "Wor kumm ji her?" Unsere Antwort: "Van't Maaakt!" Bei dieser Antwort ging es um die beste schauspielerische Leistung. Hanni ließ sich einfach in den weichen Sand fallen in gespielter totaler Erschöpfung. Dann aber: "Maol futt!" Wir waren ja erst auf dem Hinweg, und auf der roten Klinkerstraße nach Papenburg wurden zunächst Strümpfe und Schuhe wieder angezogen.

Von weitem sah man die große katholische Kirche, hinter der die Marktbuden aufgestellt waren. Aber noch vor der Kirche wohnten Tante Sini und Onkel Rudolf. Alle Kinder wollten mit hinauf, und wir polterten hintereinander die Treppe hoch. Tante Sini hatte an diesem Tage mit viel Volk gerechnet und fr uns Kinder einen ganzen Eimer voll verdünnten Himbeersaft bereitstehen. Wir tranken ihn aus Teekopkes. Mich frug sie dann noch, ob ich auch einige Tage zu ihr käme. Ja, das wollte ich gerne, aber nun waren wir sehr eilig und mußten "gau hen to't Maket."

Gleich hinter der Kanalbrücke waren schon die ersten Verkaufsbuden aufgestellt. Alles, Holsken, Töpfe, Gartengeräte, Anzug- und Kleiderstoffe, Kurzwaren, Bienenhonig und kleine Ferkel wurden angeboten. Hinter den Verkaufsständen war der Rummelplatz. Auf ihm blieben wir solange, bis alles Geld seinen Besitzer gewechselt hatte. Wir sahen die "Dicke Grete" und gleich dreimal hintereinander das "Kölner Hännesje", lachten uns im Spiegelkabinett halb tot und sahen durch runde Guckgläser den "Untergang der Titanic" und wie einer geköpft wurde. Dem Karusselfahren sah ich lieber von unten zu und lutschte dafür türkischen Honig oder aß eine rosa Zuckerwaffel. Ich weiß es nicht mehr, wann wir abends übermüdet im Köhlerhaus in Flachsmeer wieder zurückwaren "van't Maket".

Anfang September kam Papa, und wieder besuchte ich mit ihm der Reihe nach alle Verwandten in Völlenerfehn. Wir gingen auch auf den Friedhof, und Papa zeigte mir die Gräber seiner Eltern und seiner Schwester Gesine. Die Tante hatte mir beim letzten Mal den schönen Perlenkranz vom Grab ihres Kindes gezeigt. Nachdem auch noch zwei kleine Jungen von ihr gestorben waren, wurde sie schwerkrank und folgte ihren Kindern und ihrem gefallenen Mann. "Dat arme Bloed," sagte Papa nur.

Bei Tante Gretchen und Onkel Friederich im Groten Gatt konnte ich diesmal nicht ankommen, weil schon ein Ferienkind aus Gelsenkirchen dort war, das bei der Kartoffelernte half. Darum blieb ich bei Tante Anna und Onkel Johann im Bahnwärterhäuschen. Onkel Johann war Mamas ältester Bruder. Wenn es läutete, mußte er die Bahnschranke bedienen und den Zug durchlassen. Von den reifen Sauerkirschen durfte ich so viele pflücken und essen wie ich nur mochte.

Die Tante Anna war schon sehr lange krank. Sie hatte Asthma, saß immer im Hörn und sprach sehr leise, immer in einem sehr kläglichen Ton. Über dem Küchentisch an der Wand hing ein großes Soldatenbild von Bernhard, ihrem einzigen Sohn. Er war im Krieg geblieben. Tante Anna und Onkel Johann weinten abends, wenn sie von ihm sprachen. Dann lasen sie oder manchmal auch meine Kusine , das Minchen, aus dem Andachtsbuch vor. Ich glaubte damals, weil Tante Anna so krank und alle so traurig waren, durfte im Bahnwärterhäuschen überhaupt nicht gelacht werden.

Weil es dort keine Butzen gab, schlief ich mit Minchen zusammen in einem richtigen Schlafzimmer im großen Bett. Sie war älter, aber kleiner als ich. In der Schule war sie einmal vom Turnreck gefallen und danach nicht mehr gewachsen. Im Bett hatten wir uns viel zu erzählen, und wenn wir dann doch einmal laut lachen mußten, steckten wir einfach die Köpfe unter die Decke.

Sonntags kam Tante Sini aus Papenburg zu Besuch und nahm mich dann mit in ihre Stadtwohnung. Darüber war ich sehr froh. Schon früher, als sie noch dem Onkel Rudolf seine Braut war und uns einmal in Lennep besuchte, mochte ich sie gern. Sie sprach immer hochdeutsch mit mir und sagte, Papa habe geschrieben, Mama sei krank, und ich könne noch zwei Wochen bei ihr bleiben. Ich war gern bei Tante Sini und Onkel Rudolf. Da lag ein Packen Vobach-Hefte zum Ansehen und sogar zum Ausschneiden. Nachmittags ging ich mit der Tante am Kanal entlang spazieren von "Obenende" bis "Untenende". Papa behauptete immer, Papenburg sei die längste Stadt Deutschlands. Über eine Stunde läuft man an beiden Seiten des Kanals entlang durch die Stadt.

Tante Sini kaufte mir ein aufgezeichnetes Deckchen, das ich für Mama sticken sollte. Zu meinem zwölften Geburtstag hatte sie einen Kuchen gebacken und schenkte mir eine Trägerschürze mit Volants und zwei aufgesetzten Taschen, die sie selbst genäht hatte. Abends kam Onkel Rudolf vom Dienst und freute sich, daß sie nun eine Tochter hatten.

Dann kam eine Postkarte von zu Hause. Papa schrieb, es sei ein kleines Mädchen angekommen. Mutter und Kind seien wohlauf. Er käme in den nächsten Tagen, um mich nach Hause zu holen.

Ende.

 

"Wieder stand Tante Stientje froh am Gartentor." Dies ist zwar nicht Tante Stientje, sondern Jenni Jacobs aus Rajen, die in Folmhusen einen Besuch machte, aber die Szene hat sich so ähnlich überall in Ostfriesland immer wieder abgespielt.


 

Zur Verfügung gestellt von Wobbine Schendel

"Timmerbaas" Hermann Poelmann aus Ihrenerfeld mit seiner Frau Margarete geb. Strohschnieder und den Kindern sowie seinen Gesellen. Der Bauunternehmer hat in Flachsmeer und Umgebung viele Häuser neu gebaut und Altbauten renoviert.


 

Zur Verfügung gestellt von Hans Rieke


 

Auch in Papenburg waren die Geschäfte geöffnet, wenn die Markttage stattfanden. Unser Foto ist zwar in den dreißiger Jahren am Hauptkanal aufgenommen worden, es vermittelt aber trotzdem noch den Eindruck der "guten alten Zeit", als man in jedem Laden vom Postwertzeichen bis zum Brötchen alles bekommen konnte. Links Adelheid, dann Mutter Ruhmkorf, Hermann und Käthe.


 

Zur Verfügung gestellt von Lisa Poelker

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