[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 10.10.1991


 

Kartoffeln von Sandböden schmecken lecker

 

Auf der Steenfelder Gaste im Jahre 1949 bei der Kartoffelernte. Um die Vorstellung etwas zu präzisieren: rechts im Hintergrund einige Bäume, die um die Steenfelder Kirche herumstehen. Der blankgeputzte Kessel im Vordergrund hat mit Sicherheit keinen Weizenkorn einer rheiderländischen Kornbrennerei enthalten, wie erst vor kurzem zu mitternächtlicher Stunde im ZDF gezeigt wurde ("Schnaps im Wasserkessel" - ein verdächtig einseitiger Film). Die Personen von links: Helene Schmidt, Uli und Ottilie Davids, Mimi Schneider, Irmchen Davids, Frauke Junker und Johann Schipper in der Mitte. Dann zwei unbekannte Frauen, die zu Besuch waren, eine Frau Prinz, ein Junge namens Voelke sowie Herta Cassjens und Gretchen Schmidt. Das Pferdegespann vor dem mechanischen Kartoffelroder wurde von Johann Junker betreut. Die breiten Lederriemen um die Pferdehälse hielten den Deichselbaum des Ackerwagens (rechts) in der richtigen Höhe.


 


 

Gedanken zum Erntedankfest

 

Die Monatsblätter der verschiedenen Kirchengemeinden im Overledingerland haben ein Schwerpunktthema: das Erntedankfest in diesem Jahr so kurz vor der Jahrhundertwende mit all seinen politischen und wirtschaftlichen Problemen bei uns und in der großen weiten Welt. Dabei fand ich unter anderem einen Gedanken wichtig, der darauf hinwies, daß wir selbst, jeder einzelne von uns, dankbar sein muß für dieses abgelaufene Erntejahr.

Was haben wir getan ? Sind unsere Vorhaben in die Tat umgesetzt worden ? Hatten wir Erfolg ? Können wir uns zufrieden im Sessel zurücklehnen und dankbar sein über die vergangenen Monate, Wochen und Tage ?

Mir selbst fällt das in der Tat ein wenig schwer. Noch immer bin ich zu sehr mit den Ereignissen des vergangenen Monats beschäftigt. Und doch muß ich dankbar sein, daß ich wieder einigermaßen gesund bin, daß ich wieder schreiben kann, daß, wie es so schön heißt, "das Leben weitergeht" und ich daran teilhaben darf. Und ich möchte an dieser Stelle auch nicht versäumen, mich bei all denjenigen zu bedanken, die mir geholfen und mich getröstet haben.

Die Gottesdienste zum Erntedankfest 1991 sind vorüber. Der ungewohnte Feiertag am 3.Oktober als "Tag der deutschen Einheit" ist auch überstanden. Ich habe diesen freien Tag benutzt, um mir die nur wenige Tage dauernde Ausstellung über die afrikanische Makonde-Kunst in Haselünne anzuschauen. Diese Skulpturen der Westafrikaner erzählen Geschichten aus dem Leben der Menschen, deren Dasein heute vom Kampf um das tägliche Brot gekennzeichnet ist. Und trotz dieses Kampfes vieler Don Quichottes gegen die allmächtigen Windmühlenflügel der Geldfinanz vergessen die Afrikaner ihre Kultur nicht. Sie leben in ihren Erzählungen, in ihren Liedern und in ihren geschnitzten Lebensbäumen und träumen von einem besseren Leben.

Von Haselünne aus bin ich dann noch zur niederländischen Grenze gefahren, um mir bei Rütebrock am Staadtskanaal den kleinen Ortsteil "Hahnentange" anzuschauen. Dort hat die Gemeinde Rütebrock für die aus nur sechs Häusern bestehende Bauernschaft ordentliche grüne Ortsschilder aufgestellt. Mit ein bißchen Verbitterung muß ich an meine neue Heimatgemeinde in Ostfriesland denken, in der Geschichte und Kultur kaum einen Stellenwert haben.

"Hahnentange" ist eigentlich ein zusammengesetztes Wort und bedeutet soviel wie ein "weißer Schimmel" oder ein "schwarzer Rappe". Das Wort "Tange" kommt aus dem skandinavischen Sprachraum und bedeutet "Landzunge". Das "Hahnen" ist ein veraltetes Wort aus dem oldenburgischen Sprachraum und bedeutet "Sandhöhe". Wer sich einmal die Mühe macht, alle "Tanges" auf den Meßtischblättern herauszusuchen, der wird erstaunt feststellen, daß dieses Wort nur in dem Bereich zwischen Barger Compascum und Oldenburg auf den Landkarten vorkommt.

Das zusammengesetzte Wort "Hahnentange" gibt es nur an der Holländischen Grenze bei Rütebrock und bei uns in Westrhauderfehn. Diese Ortsbezeichnung weist darauf hin, daß es hier viel Sand gibt, was im Ostfriesischen allgemein Gaste oder Geest heißt. Ein verballhorntes "Tange" und "Gaste" finden wir zum Beispiel in der Ortsbezeichnung "Dangast" am Jadebusen.

Was das alles mit den Kartoffeln zu tun hat ? Nun, diese gedeihen auf Sandböden am besten. An der holländischen Grenze tuckerten die schweren Vollernte-Kartoffelroder trotz des offiziellen Feiertags auf den riesigen Feldern, und an den Wegen standen überall vollbeladene Wagen mit den frischgeernteten Erdäpfeln. Trotz des Sandbodens wachsen bei uns diese exotischen Früchte, die einst Friedrich der Große in der Streussandbüchse der Mark Brandenburg anpflanzen ließ.

Heute haben wir zuviel von diesen "Pommes" und wissen nicht, wohin damit. Nach Afrika ist es zu weit. Und nach Hahnentange ? Dort steht kein Schild...


 

Nach dem Roden wurden die Kartoffeln bei gutem Wetter zum Trocknen hinterm Haus ausgebreitet. Hier sortiert Oma Voskeline Tinnemeyer im Jahre 1942 mit ihrem Enkelkind Heinz-Jürgen Nientker an der Nordseite der 1. Ostwieke (heute: Hauptstraße bzw. B 438) etwa gegenüber Hinrich Reents die Kartoffeln: die dicken für den Wintervorrat, die "mojen as Saattuffels" und die kleinen für die Schweine. Rechts eine umgekippte Torfkarre.


 

Für die ganz kleinen Kinder war das Kartoffelaufsuchen noch mehr Spielerei. Ein paar Jahre später wurde es dann während der "Tuffelröderferjen" bitterer Ernst, und so manches heranwachsende Kind war froh, wenn es abends mit schmerzenden Knochen todmüde im Bett lag. Links Magret Weichers, in der Mitte Hannelore Lochmann und rechts Hildegard Graalmann auf der Steenfelder Gaste.


 

Noch vor dem Krieg wurde diese Aufnahme gemacht. In Bullerbarg am Ekeweg wurden im Herbst 1939 noch die Kartoffeln mit der Forke ausgegraben. Von links: Altejeline Börchers geb. Ahrenholtz mit Tochter Olga van Deest und Enkelkind Wilfriede. Daneben Theda Mansholt mit Heini und Gretchen, die als Nachbarn natürlich bei der herbstlichen Kartoffelernte mithalfen.


 

Wer nun glaubt, hier erstmalig die "Tuffelrüderlü" von Holte vor sich zu haben, der irrt gewaltig! Zwar war es überall üblich, die Kartoffeln auf dem eigenen Land mit der Mistforke auszugraben, aber diese "Frauenmannschaft" fand sich aus einem ganz anderen Grund zusammen: Sie liefen im Frühjahr vor oder nach Ostern über die Wiesen und Weiden, um die Maufwurfshaufen zu verteilen. Dieses bislang einmalige Dokument vom "Frötenbültenslaan" wurde etwa um 1940 im Holter Kolonistenstück aufgenommen und zeigt von links nach rechts: Feeke Buß, Reni, Gerda und Keli (Foelkea) de Buhr sowie Gesina Lott.


 

Der herbstliche Nebel hängt noch über den anmoorigen Flächen zwischen Klostermoor und Flachsmeer. Die Kartoffeln wurden bereits von einem Nachbarn mit dem Pflug an die Oberfläche befördert. Jetzt heißt es, sich nach jeder Erdknolle zu bücken. Wir schreiben erst das Jahr 1960, in dem von der landwirtschaftlichen Überproduktion noch nicht viel zu erkennen ist. Links Hinrich, in der Mitte Tochter Käthe und rechts Wilhelmine Caspers.


 

Nach Möglichkeit wurde auf dem Acker vorsortiert, denn nicht jeder kleine landwirtschaftliche Betrieb nannte einen Kartoffelweiher sein eigen (der hatte oft Räder unter den vier Stützbeinen, denn er wurde viel von allen Nachbarn ausgeliehen). Mariechen Caspers hat zwei neue Weidenkörbe vor sich stehen, um die Eßkartoffeln von den Futterkartoffeln zu trennen.


 


 

Zur Verfügung gestellt von Johann Junker, Bohle und Frieda Tinnemeyer sowie Wilhelm Lalk.

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