[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 19.12.1991


 

„He sall Kennteikent wesen, un dat blievt so?“

 

Besuch von Kollegen. Einer der beiden Herren müßte ein Steffens aus Weener sein. In der Mitte Elbertus Haats.


 

Die Kinder und Nachbarkinder des Bahnhofsvorstehers Jelting, von links: Wessel, Peter Gerdes, Willi, Dina und Johann Gerdes. Dicht beim Bahnhof befand sich die „Utschachtung“, eine Sandentnahmestelle aus früheren zeiten, die sich langsam mit Wasser gefüllt hatte. Dort traf sich im Winter die Dorfjugend zum Schlittschuhlaufen, denn abends brannten die Bahnsteiglampen so lange, bis der letzte Zug eingetroffen war, und leuchtete auch über die herrliche Eisfläche.


 

Elbertus Haats auf Schrankenposten 38 in Steenfelderfehn.


 

Der ehemalige Bahnhof Steenfeelde im Jahr 1935, wie ihn nur noch die älteren Einwohner kennen. Auf seine Anpflanzungen legte Wessel Jelting größten Wert. Einmal bekam er sogar den 1. Preis für die schönste Bahnhofsanlage.

 


 

Viele Weihnachtszüge fuhren durch den Steenfelder Bahnhof

„Fünfmal werden wir noch wach, heissa, dann ist Weihnachtstag,“ summen die Kinder leise vor sich hin, wenn sie abends ins Bett gehen müssen und sich unter die Decke kuscheln. Fünf Tage, denken die Erwachsenen, müssen wir noch durchstehen, und immer wieder dieser Streß. Die Geschenke zusammenpacken, alles im Auto verstauen und dann auf den vollgestopften Straßen bis zur Oma im Schneckentempo dahinkriechen, welch ein Vergnügen! Wieviel besser haben es diejenigen, die mit der Eisenbahn fahren: kein Aufpassen auf den Vordermann, kein Stau, keine Notbremsung. Gemütlich sitzen die Bahnfahrer im lntercitycoupé bis zur Ankunft am Bestimmungsbahnhof, steigen dort in ein Taxi und kommen ausgeruht bei den Verwandten an.

Gerade zu Weihnachten aber haben viele Leute den gleichen Gedanken: Bloß nicht auf winterlichen Straßen steckenbleiben! Fahren wir doch mit der Eisenbahn, dann kommen wir heil und sicher an. Weil nun so viele Menschen dasselbe wollen, muß die Deutsche Bundesbahn zusätzliche Züge zu den Feiertagen einsetzen. Auf allen Bahnhöfen wimmelt es von Menschen, die Abteile sind übervoll, und oft muß man stundenlang im Gang stehen. Wer durch die Fenster der Schnellzüge guckt, sieht die Lichter der kleinen Bahnhöfe vorbeisausen. Auch dort stehen Menschen, die auf einen Bummelzug warten, der sie zu Angehörigen bringen soll.

Wie viele Menschen sind wohl auf dieser Strecke zwischen Leer und Papenburg in den vergangenen Jahrzehnten vorbeigerast, haben sich gedacht: Oh, welch Idylle, welch herrliche Landschaft, die ,friedlich grasenden Kühe, ab und zu ein Storch - dort möchte ich wohl leben, dort finde ich Ruhe und Frieden. Aber der Zug hält nicht mehr zwischen Leer und Papenburg, weder in Ihrhove noch in Steenfelde. Bahnhöfe im Overledingerland, das ist auch so ein Kapitel, über das es keine Literatur gibt. All die Männer, die früher auswärts arbeiteten, gingen im Osten zum Bahnhof nach Strücklingen, im Norden zum Bahnhof nach Stickhausen, im Süden zum Bahnhof nach Steenfelde oder Papenburg und im Westen nach Ihrhove. Den Kleinbahnhof in Westrhauderfehn wollen wir in unserer heutigen Betrachtung einmal außen vor lassen, denn über die Kleinbahn zu schrei­ben, da gibt es kompetentere Leute als mich.

Eigentlich sollte die Geschichte heute gar nicht so lang werden, denn niemand hat in diesen Tagen wirklich die Zeit, längere Texte ausführlich zu lesen. Aber in der Redaktion klingelte neulich das Telefon, und Frau Dina Haats aus Steenfelde meinte, die Bildunterschrift in unserer Ausgabe vom 21. November dürfte so nicht stehen bleiben. Gerade Pastor Strackholder sei es gewesen, der immer wieder die Schwie­germutter gefragt habe, ob sie nicht endlich die Grabeinfassung gerade legen lassen wolle. Wenn er mit den Konfirmanden über den Friedhof ginge, käme immer wieder dieselbe Frage: Warum liegt diese Grabstelle schief auf dem Friedhof?

Schwiegermutter aber blieb stur. ,,Ne, ne, he sall kennteikent wesen, und dat blievt so.“ Erst als sie 1971 starb, konnten einige Wochen später ihr Sohn Elbertus und die Schwiegertochter endlich die Grabeinfassung ändern. Warum wir das erzählen? Es könnte eine Geschichte von Gerhard Hauptmann sein, eine Novelle wie die vom ,,Bahnwärter Thiel" aus dem Jahr 1892. Wir aber wollen heute hier noch einmal mit wenigen Sätzen über die schiefe Grabstelle auf dem Friedhof von Steenfelde berichten.

Der Flickschuster Ohm Elbertus aus Steenfelde war schwer erkrankt. Mit 52 Jahren lag er tagein, tagaus in seiner Butze, hatte fürchterliche Schmerzen und wartete sehnsüchtig auf das Ende. Aber er konnte nicht sterben, und da hat er sich im Sitzen in der Butze aufgehängt. Wie es damals üblich war, hätte er eigentlich ,,Butenkring" beerdigt werden müssen, aber man entschied sich vor 100 Jahren für die ,,schiefe" Lösung.

Seine Tochter Gretchen konnte ihr Leben lang nicht verwinden, daß ihr Vater solche Schmach über die Familie gebracht hatte. Sie blieb jahrzehntelang stur wie ein Panzer: Die Grabstelle sollte schief bleiben, mochte Pastor Strackholder bitten, soviel er wollte. ,,He sall kennteikent wesen, un dat blievt so."

Ein Enkel von Ohm Elbertus hieß nach guter ostfriesischer Sitte ebenfalls Elbertus. Er war bei der Reichsbahn angestellt für den Zugbegleitdienst ,,R" für ,,Emden-Rheine". Nachdem Krieg hat er dann auf Schrankenposten 38 in Steenfelde den Dienst versehen (S. FK vom 1.8. 1991). Seine Frau Medina und auch sein Schwiegervater Wessel Jelting waren ebenfalls bei der Reichsbahn. Dieser hatte schon 1927 das Stellwerk ,,PN" (Papenburg Nord) übernommen, und als Kampe Schaa in den Ruhestand versetzt wurde, ernannte die Reichsbahndirektion Wessel Jelting zum Bahnhofsvorsteher in Steenfelde (S. FK vom 5.9.1991).

Natürlich hatte auch er um die Weihnachtszeit viel zu tun. Auf seiner kleinen dörflichen Station stieg so mancher Reisende aus, der jahrelang seine Heimat nicht mehr gesehen hatte, die angeblich ach so heile Welt, an die man sich nun zur Weihnachtszeit gern erinnerte. ,,Ehre sei Gott in der Höhe, Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen" singen wir am Heiligen Abend in der Kirche. Frieden auf Erden bedeutet nicht nur das Ende eines Krieges. Frieden muß auch jeder einzelne für sich selbst finden. Der Mensch muß verzeihen können. Denn wir beten: ,,Und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern."


 

Der ganze Stolz der Familie Haats war dieser DKW Junior. Hier Schrankenwärter Elbertus Haats mit Tochter Monika.

 

Auf dem Weg zu seinem Bahnhof. Wessel Jelting wurde der Tag nie langweilig. Er fand immer etwas zu tun.


 

Der Zug ist weitergefahren, die Schranken sind wieder hochgedreht. Jetzt muß Wessel Jelting die Schreibarbeiten erledigen.


 

Bahnhofsvorsteher und Schrankenwärter Wessel Jelting in voller Aktion. Foto aus dem Jahre 1938.


 

Es ist noch ein Bißchen Zeit, bis der nächste Zug kommt. Wo fahren die Reisenden hin, wo kommen sie her? Ist es ein freudiges Ereignis, eine Kindtaufe zum Beispiel, oder ist es ein trauriger Anlaß, eine Beerdigung?


 

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